Nachdem der Verteidiger vorgetragen hat, er bedürfe der Daten der kompletten Messserie, um die Vollständigkeit des Messfilms und das Vorliegen von Besonderheiten im Rahmen der Messungen zu überprüfen (vgl. Schriftsatz vom 25.11.2021), war aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 12.11.2020 (2 BvR 1616/18, BeckRS 2020, 34958) der Bußgeldbehörde aufzugeben, die digitalen Daten der kompletten Messserie des Tattages an den Verteidiger herauszugeben.
Das BVerfG hat in der obengenannten Entscheidung ausgeführt, dass sich aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens ein Anspruch des Betroffenen ergeben kann, Zugang zu Informationen zu bekommen, die in der Bußgeldakte nicht enthalten sind, aber bei der Bußgeldbehörde vorhanden sind. Dies trifft auf die Daten der kompletten Messserie zu.
Nicht von Relevanz ist dabei nach der Entscheidung des BVerfG, ob die Bußgeldbehörde oder das Gericht die in Rede stehende Information zur Überzeugung von dem Verstoß für erforderlich erachtet, vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 3.8.2021 – 4 Rb 12 Ss 1094/20 (anders wohl: BayOblG, Beschl. v. 4.1.2021 – 202 OBOWi 1532/20, BeckRS 2021, 1).
Das OLG Stuttgart hat in der obengenannten Entscheidung ergänzend darauf hingewiesen, dass Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes durch eine Anonymisierung der Daten Rechnung getragen werden könne. Außerdem sei zu sehen, dass die Daten nur an den Verteidiger als Organ der Rechtspflege oder an einen von ihm beauftragten Sachverständigen herausgegeben werden und damit nicht zu erwarten sei, dass Daten an Dritte weitergegeben würden. Vor diesem Hintergrund müsse das Interesse der in den Falldateien der Messreihe erfassten weiteren Verkehrsteilnehmer gegenüber dem aus dem fair-trial-Anspruch begründeten Einsichtsrecht des Betroffenen zurückstehen.
Soweit der Betroffene über seinen Verteidiger darüberhinaus noch Überlassung der Lebensakte und einen Beschilderungsnachweis begehrt hatte, war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu verwerfen.
Der Anspruch auf Einsicht in die sogenannte Lebensakte des Messgeräts scheitert bereits daran, dass die Stadt Ellwangen mitgeteilt hat, eine solche werde nicht geführt. Hierzu ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass sich die vom Betroffenen begehrten Informationen zu Reparaturen ggf. durch die Vernehmung des Messbeamten im Rahmen der Hauptverhandlung erlangen lassen.
Die vom Verteidiger benötigten Informationen zur Beschilderung am Tattage ergeben sich aus den vorgelegten Skizzen und Lichtbildern. Weitere Fragen zum Vorhandensein und zur Erkennbarkeit von Verkehrszeichen werden einer Hauptverhandlung vorbehalten bleiben müssen. Auch hier gilt, dass bei Zweifeln der Messbeamte im Rahmen der Hauptverhandlung befragt werden kann. Hierüber hinausgehende Erkenntnisse vermag auch ein Beschilderungsplan nicht zu vermitteln.
Vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass es zutrifft, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe zwischenzeitlich auch ohne gerichtliche Entscheidung auf Anforderung und bei entsprechender Begründung des Antrages die Daten der kompletten Messreihe herausgibt.
Mitgeteilt von RA Andreas Peschke, Kirchberg/Jagst
zfs 9/2022, S. 533 - 534