VVG § 28 § 116 Abs. 1; AKB 2008 E 1.2 E 7.1
Leitsatz
1. Auch wer nach der abendlichen Beschädigung eines geparkten Kraftfahrzeugs einen Zettel mit den Daten seiner Erreichbarkeit hinterlässt, verletzt die Aufklärungsobliegenheit vorsätzlich.
2. Der versicherte Fahrer muss im Regressprozess nicht nachweisen, dass eine Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls ausgeschlossen ist.
(Leitsätze der Schriftleitung)
LG Potsdam, Urt. v. 24.5.2022 – 13 S 18/21
Sachverhalt
Die Kl. macht gegenüber dem Bekl. Regressansprüche nach Regulierung eines KfZ-Haftpflichtschadens geltend.
Am Abend des 5.3.2020 kam es mit dem bei der Kl. haftpflichtversicherten Pkw … mit dem am Fahrbahnrand der Z.straße 51 in Potsdam abgestellten Pkw des Geschädigten zu einem Zusammenstoß. Es wurde an dem Fahrzeug des Geschädigten ein Schaden in Höhe von netto 1.842,78 EUR festgestellt, woraufhin die Kl. dem Geschädigten einschließlich der Gutachterkosten und einer Kostenpauschale einen Betrag in Höhe von 2.344,11 EUR erstattete.
Am geschädigten Fahrzeug wurde nach der Kollision ein Zettel mit der Mobiltelefonnummer des Bekl. und seinem Namen hinterlassen. Gegen ihn wurde ein strafrechtliches Verfahren wegen Unfallflucht gem. § 142 StGB eingeleitet und seitens der Staatsanwaltschaft Potsdam eingestellt.
Die Kl. hat erstinstanzlich vorgetragen, dass der Bekl. das Fahrzeug zum Schadenszeitpunkt geführt habe. Sie hat ferner die Ansicht vertreten, der Bekl. habe eine Unfallflucht und damit eine Obliegenheitspflichtverletzung im Sinne von E 1.2 AKB begangen. Sie ist davon ausgegangen, dass der Bekl. zum Unfallzeitpunkt nicht in der Lage war, ein Fahrzeug sicher zu führen. Sie war ferner der Ansicht, sie habe einen Nachteil erlitten, indem wegen der vom Bekl. begangenen Unfallflucht weder festgestellt werden konnte, in welchem Zustand der Bekl. sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befand, noch ob tatsächlich alle Beschädigungen am Pkw des Unfallgegners durch den Kontakt mit dem bei der Kl. versicherten Fahrzeug verursacht wurden.
Der Bekl. hat behauptet, er habe das Fahrzeug geführt und habe am Unfallort 35 Minuten gewartet, bevor er sich entfernt habe.
Er hat die Ansicht vertreten, er sei nicht passivlegitimiert, da er nicht VN sondern nur Mitversicherter sei.
2 Aus den Gründen:
Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Die Kl. hat gegen den Bekl. keinen Rückforderungsanspruch gemäß E.7.3 AKB i.V.m. §§ 116 VVG, 426 Abs. 2 BGB im Hinblick auf die erfolgte Regulierung. Der Bekl. ist für den geltend gemachten Regressanspruch zwar passivlegitimiert (dazu A.). Es liegt auch eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung seitens des Bekl. vor (dazu B.). Der Bekl. konnte jedoch den Kausalitätsgegenbeweis führen (dazu C.).
A. Der Bekl. ist passivlegitimiert.
Ein Anspruch der Kl. auf Regress kommt auch gegen den Bekl. als lediglich mitversicherten Fahrer im Sinne von A 1.2 lit. c), F 1. AKB aus übergegangenem Recht nach § 116 Abs. 1 Satz 2 VVG i.V.m. §§ 426 Abs. 2 Satz 1, 823 Abs. 1 BGB, § 18 StVG in Betracht (vgl. BGH, Urt. v. 20.1.1971 – IV ZR 42/69 –, Rn 5 f.; …
Soweit die Kl. in der Berufungsinstanz und insbesondere im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 11.5.2022 nunmehr ausführt, dass durch das Entfernen vom Unfallort nicht habe geklärt werden können, ob der Bekl. tatsächlich gefahren sei, versteht das Gericht dies nicht als Bestreiten dergestalt, der Bekl. sei tatsächlich nicht gefahren. Andernfalls wäre die Klage mangels Fahrereigenschaft unmittelbar abweisungsreif.
B. Zutreffend führt das AG sodann aus, dass der Bekl. gegen die Aufklärungsobliegenheit aus E.1.2 AKB verstoßen hat, indem er sich am 5.3.2020 vom Unfallort entfernte, ohne die Polizei zu verständigen. Allerdings geht das BG insoweit abweichend von der erstinstanzlichen Entscheidung – davon aus, dass der Bekl. diese Obliegenheit vorsätzlich verletzt hat.
Der Bekl. hat durch das Entfernen vom Unfallort zumindest billigend in Kauf genommen, dass die erforderlichen Feststellungen am Unfallort nicht getroffen werden können.
Die in den AKB nach 2008 (hier 2017) formulierte Obliegenheit, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen (z.B. zum Alkohol- oder Drogenkonsum des Unfallfahrers) zu ermöglichen, geht ihrem Wortlaut nach über die strafrechtlich sanktionierten Pflichten hinaus (OLG Stuttgart, Urt. v. 16.10.2014 – 7 U 121/1 –). Der durchschnittliche VN wird die in den Bedingungen formulierte Forderung aber auf den ihm bekannten Straftatbestand der "Unfallflucht" gemäß § 142 StGB beziehen. Er darf deshalb weiterhin davon ausgehen, dass er seiner Aufklärungsobliegenheit grundsätzlich dann gerecht wird, wenn er die strafrechtlich sanktionierten und allgemein bekannten Handlungspflichten erfüllt. (OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.2.2016, 5 U 75/14, OLG München r+s 2016, 342, …).
Vorliegend wurde jedoch das Strafverfahren wegen eines Verstoßes gegen § 142 StGB gegen den Bekl. von der Staatsanwaltschaft Potsdam gerade eingestellt. Dies führt allerdings für sich genommen noch nicht dazu, dass der Vorsatz für die Aufkl...