"… ist das VG zutreffend … davon ausgegangen, dass in den Fällen, in denen die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gegenüber einer Person anordnet, die gelegentlich Cannabis konsumiert und gegen das Trennungsgebot verstoßen hat, die Begutachtungsstelle die Erstellung eines positiven Gutachtens nicht generell und ohne sachlichen, sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergebenden Grund von einem Abstinenznachweis abhängig machen darf (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 17.3.2021, juris, Rn 11 ff. und v. 9.11.2020 – 16 B 1697/19 – juris Rn 11 ff.; Balke/Frese/Koehl, NJ 2022, 241, 242; Koehl, NZV 2022, 449, 450); nur in bestimmten, von der Ausgestaltung des Einzelfalls abhängigen Fallgestaltungen kann es bei gelegentlichem Cannabiskonsum sachgerecht sein, einen solchen Abstinenznachweis zu fordern (vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl., S. 438). Denn Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV verlangt für die Fahreignung von Personen, die gelegentlich Cannabis konsumieren, keinen Konsumverzicht, sondern im Wesentlichen das Trennen der Cannabiseinnahme von dem Führen eines Kfz. Wird gleichwohl für die Erstellung eines positiven Gutachtens einzelfallunabhängig ein Abstinenznachweis gefordert, kann dies nicht zu Lasten des Betroffenen gehen, da eine solche Fehleinschätzung weder auf von dem Betroffenen zu vertretenen Umständen beruht noch in dessen Risikosphäre fällt (OVG NRW, Beschl. v. 17.3.2021 a.a.O. Rn 10; Dronkovic, DAR 2021, 410, 411)."
Angesichts der besonderen Grundrechtsrelevanz der Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, die in das durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art.1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift, indem sich der Betroffene einer körperlichen Untersuchung und psychologischen Exploration auszusetzen hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92 – juris Rn 50 ff.; BVerwG, Urt. v. 26.4.2012 – 2 C 17.10 – juris Rn 15; VGH Bad.-Württ., Urt, v. 11.10.2017 – 10 S 746/17 – juris Rn 22), und der mit einer Gutachtenerstellung bzw. mit einer – bei Nichtvorlage des Gutachtens – regelmäßig erfolgenden Entziehung der Fahrerlaubnis verbundenen Folgen für die allgemeine Handlungsfreiheit und gegebenenfalls Berufsfreiheit des Betroffenen kann der Antragsteller nicht darauf verwiesen werden, trotz des fehlerhaften Verlangens eines Abstinenznachweises das Gutachten gleichwohl erstellen und es bei einem negativen Ergebnis gerichtlich – im Wege von Rechtsbehelfen gegen die (für sofort vollziehbare erklärte) Entziehung der Fahrerlaubnis – überprüfen zu lassen. Vielmehr entspricht es in diesen Fällen regelmäßig dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die die Erbringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnende Behörde nach einem entsprechenden substantiierten Hinweis des Betroffenen darauf, dass die Begutachtungsstelle bei einem gelegentlichen Cannabiskonsum die Erstellung eines (positiven) medizinisch-psychologischen Gutachtens generell und ohne sachlichen, sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergebenden Grund von einem Abstinenznachweis abhängig macht, bei der Begutachtungsstelle entsprechend nachfragt und bei dieser auf eine der geltenden Rechtslage, insbesondere der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV entsprechende Begutachtung und Beantwortung der von ihr gestellten Fragen hinwirkt (OVG NRW, Beschl. v. 17.3.2021 a.a.O. Rn 23; Koehl, NZV 2021, 495, 496 f.) …“
zfs 9/2023, S. 538 - 539