FeV § 11 Abs. 6, Abs. 8 S. 1; Anlage 4 zur FeV Nr. 9.2.2
Leitsatz
1. Die nach § 11 Abs. 6 S. 2 FeV festzusetzende Frist zur Beibringung eines Gutachtens darf in Fällen, in denen eine Entziehung der Fahrerlaubnis in Betracht kommt, nicht die Zeitspanne überschreiten, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Erstellung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird, wobei für die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im Zusammenhang mit einem Drogenkonsum eine Zeitspanne von etwa zwei Monaten regelmäßig ausreichend ist.
2. Ist die von der Fahrerlaubnisbehörde festgesetzte Beibringungsfrist nicht von vornherein als zu kurz bemessen anzusehen und teilt die Begutachtungsstelle mit, dass es ihr voraussichtlich nicht möglich sei, den Gutachtenauftrag fristgerecht zu bearbeiten, obliegt es dem Betroffenen als Auftraggeber des Gutachtens, bei der Begutachtungsstelle auf eine fristgerechte Erstellung des Gutachtens hinzuwirken und gegebenenfalls bei der Fahrerlaubnisbehörde die Verlängerung der Beibringungsfrist zu beantragen.
3. Wird die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gegenüber einer Person angeordnet, die gelegentlich Cannabis konsumiert und gegen das Trennungsgebot verstoßen hat, ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Begutachtungsstelle einen einzelnen Nachweis der Drogenfreiheit im Zeitpunkt der medizinisch-psychologischen Untersuchung fordert (Ergänzung zum Beschl. des Senats vom 14.6.2023 – 13 S 366/23 –).
VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.6.2023 – 13 S 473/23
1 Aus den Gründen:
"… Wie das VG ist auch der Senat nach derzeitigem Erkenntnisstand der Ansicht, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis in Ziffer I und die Anordnung zur Ablieferung des Führerscheins in Ziffer II des Bescheids vom 12.12.2022 aller Voraussicht nach rechtmäßig sind, weil die Antragsgegnerin infolge der Nichtvorlage des geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 11 Abs. 8 S. 1 FeV auf die fehlende Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen durfte. Ein solcher Schluss ist zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist und für die Nichtbeibringung kein ausreichender, von dem Betroffenen nicht zu vertretender Grund besteht (BVerwG, Urt. v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris Rn 19; Beschl. des Senats v. 14.6.2023 – 13 S 366/23 – zur Veröffentlichung in juris vorgesehen; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 2.1.2018 – 10 S 2000/17 – juris Rn 3 ff.; Urt. v. 27.7.2016 – 10 S 77/15 – juris Rn 41 ff.; OVG NRW, Beschl. v. 17.3.2021 – 16 B 22/21 – juris Rn 5; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 11 FeV Rn 51). Dann ist nämlich die Annahme gerechtfertigt, dass der Betroffene durch die Unterlassung der Beibringung des Gutachtens einen Eignungsmangel verbergen will (Beschl. des Senats v. 14.6.2023 a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 22.1.2013 – 10 S 2246/12 – juris Rn 5; BayVGH, Beschl. v. 30.11.2022 – 11 CS 22.2195 – juris Rn 23; Dauer a.a.O.)."
Von einem solchen Fall ist hier aller Voraussicht nach auszugehen. Der Antragsteller hat das wegen des (einmaligen) fehlenden Trennens der gelegentlichen Einnahme von Cannabis von dem Führen eines Kraftfahrzeugs (vgl. Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV) von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 9.6.2022 angeordnete medizinisch-psychologische Gutachten aus von ihm zu vertretenen Gründen nicht beigebracht. Mit seinem Beschwerdevorbringen, die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei nicht rechtmäßig gewesen, vermag der Antragsteller nicht durchzudringen.
a. Dies gilt zunächst, soweit der Antragsteller geltend macht, die Frist zur Beibringung des Gutachtens (§ 11 Abs. 6 FeV) sei zu kurz bemessen gewesen. Die Frage, welche Frist angemessen ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, wobei die persönlichen Bedürfnisse des Fahrerlaubnisinhabers nicht ausschlaggebend sind. Wird die Vorlage des Gutachtens nicht im Rahmen der Erteilung, sondern der Entziehung der Fahrerlaubnis verlangt, muss den Eignungszweifeln so zeitnah wie möglich nachgegangen werden. Denn bis zur Klärung des Sachverhalts steht die Möglichkeit im Raum, dass ein ungeeigneter Fahrerlaubnisinhaber am Straßenverkehr teilnimmt und so das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet. Die nach § 11 Abs. 6 S. 2 FeV zu setzende Frist dient damit nicht dazu, dem Fahrerlaubnisinhaber die Möglichkeit einzuräumen, erst den Nachweis über einen hinreichend langen Abstinenzzeitraum zu führen, bevor die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergreifen kann (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 7.4.2014 – 10 S 404/14 – juris Rn 12 und v. 8.9.2015 – 10 S 1667/15 – juris Rn 5; OVG Saarland, Beschl. v. 3.5.2021 – 1 B 30.21 – juris Rn 29; OVG Sachsen, Beschl. v. 13.8.2019 – 3 122/19 – juris Rn 10; OVG Thüringen, Beschl. v. 19.9.2011 – 2 EO 487/11 – juris Rn 11 ff.; OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 21.7.2009 – 10 B 10508/0...