VVG § 125 § 128; ARB 2016 § 2 Buchst. A § 3a Abs. 1 Buchst. A bis c § 4 Abs. 1 Buchst. A
Leitsatz
Erfolgt im Deckungsschutzverfahren des VN einer Rechtsschutzversicherung nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (hier: durch den Gerichtshof der Europäischen Union in den sog. Dieselverfahren) zu seinen Gunsten, sind für die Beurteilung des Deckungsschutzanspruchs die Erfolgsaussichten der Klage im Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht maßgeblich.
BGH, Urt. v. 5.6.2024 – IV ZR 140/23
1 Sachverhalt
Der Kl. nimmt die Bekl. auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung von Deckungsschutz für die außergerichtliche und erstinstanzliche Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen gegen die Herstellerin wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung bei einem von ihm erworbenen Fahrzeug in Anspruch. Gem. Rechtschutzversicherungsvertrag liegen die XRB 2016 zugrunde.
Der Kl. erwarb im August 2020 ein gebrauchtes Wohnmobil mit einem Kilometerstand von 88600 km zu einem Kaufpreis von 39.790 EUR. Das Fahrzeug unterliegt keinem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt. Der Kl. beabsichtigt, mit einer Klage gegen die Herstellerin Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB gerichtet auf Rückabwicklung des Kaufvertrages geltend zu machen. Dieser lastet er an, die dort Verantwortlichen hätten das von ihm erworbene Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) 715/2007, insbesondere mit einem Thermofenster, ausgestattet und ihn dadurch vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt.
Die dafür erbetene Kostenzusage lehnte die Bekl. mit Schreiben vom 16.12.2021 ab. Es liege weder ein Rechtsverstoß vor, noch bestünden Erfolgsaussichten in der Sache und der Kl. verstoße gegen seine Kostenminderungsobliegenheit. Ein mit "Stichentscheid" überschriebenes Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Kl. vom 22.12.2021 wies die Bekl. mit Schreiben vom 4.1.2022 als nicht bindend zurück.
2 Aus den Gründen:
[15] 2. Das BG hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Bekl. in dem von ihm tenorierten Umfang verpflichtet ist, die Kosten der erstinstanzlichen Geltendmachung von deliktischen Schadensersatzansprüchen des Kl. aufgrund des Fahrzeugkaufs zu tragen.
[16] a) Zutreffend und von der Revision unbeanstandet hat das BG zunächst angenommen, dass für den geltend gemachten Rechtsschutzfall – den Erwerb des Fahrzeugs – im Sinne von § 25a Abs. 1 und Abs. 3, § 4 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 Buchst. a ARB 2016 Versicherungsschutz besteht.
[17] b) Rechtsfehlerfrei ist das BG auch davon ausgegangen, dass die Bekl. nicht berechtigt war, gemäß § 3a Abs. 1 Buchst. a bis Buchst. c ARB 2016 Deckungsschutz zu versagen. Denn die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Kl. hat hinreichende Aussicht auf Erfolg gemäß § 3a Abs. 1 Buchst. a ARB 2016.
[18] aa) Mit diesem Einwand, für dessen Voraussetzungen der VR beweispflichtig ist (vgl. BGHZ 178, 346 Rn 23), kann die Bekl. den Deckungsschutz zwar ablehnen, wenn ihrer Auffassung nach die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen mutwillig ist, d.h. in einem groben Missverhältnis zum angestrebten Erfolg steht. Die aus § 114 Abs. 1 ZPO übernommene Formulierung bringt zum Ausdruck, dass der VR Versicherungsschutz unter den sachlichen Voraussetzungen gewährt, unter denen eine Partei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beanspruchen kann (vgl. Senat VersR 2003, 454 …). Das beruht darauf, dass die sachlichen Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht in der Rechtsschutzversicherung die gleichen wie bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe sind (…). Hiernach genügt es, wenn der von einem Kl. angenommene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (vgl. Senat VersR 1988, 174 …).
An die Voraussetzung der hinreichenden Erfolgsaussicht sind keine überspannten Anforderungen zu stellen (…). Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht schon dann, wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich erscheint wie ein Unterliegen, der Prozessausgang mithin offen ist (vgl. BVerfG FamRZ 2020, 1559 Rn 18 m.w.N.). Hat sich noch keine herrschende Meinung gebildet, so ist großzügig zu verfahren (Senat VersR 1994, 1061).
[19] bb) Nach diesem Maßstab hat das BG … – zutreffend angenommen, dass die Erfolgsaussichten für die beabsichtigte gerichtliche Geltendmachung eines deliktischen Schadensersatzanspruchs aus § 823 Abs. 2, § 31 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 und Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG (Rahmenrichtlinie) auf Rückabwicklung des Kaufvertrages vorlagen. Erfolgt nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (hier: durch den EuGH) zugunsten des VN, sind für die Beurteilung des Deckungsschutzanspruchs die Erfolgsaussicht...