ZPO § 256
Leitsatz
Der für die Bejahung des nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresses ausreichenden Erwartung, der Bekl. werde bereits auf ein Feststellungsurteil hin leisten, steht es nicht entgegen, dass eine erneute gerichtliche Inanspruchnahme des Bekl. zur Durchsetzung der aus dem Feststellungsurteil resultierenden Forderungen nicht ausgeschlossen werden kann
BGH, Urt. v. 22.5.2024 – IV ZR 124/23
1 Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob die Bekl. dem Kl. als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Mutter auf von ihm per E-Mail und Telefax eingereichte Anträge Behandlungskosten zu erstatten hat.
Die Bekl. ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die aufgrund ihrer Satzung Fürsorgepflichten in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen und bei Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten erfüllt, die dem durch das Eisenbahnneuordnungsgesetz – ENeuOG gebildeten Bundeseisenbahnvermögen nach den §§ 78, 80 BBG obliegen. Sie gewährt ihren Mitgliedern Leistungen nach Satzung und Tarif. Nach § 32 der ab dem 1.1.2019 geltenden Satzung der Bekl. (im Folgenden: KVBS) kann das Mitglied gegen Entscheidungen der Bezirksleitungen aus dem Leistungsrecht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten Beschwerde zum Beschwerdeausschuss und gegen Beschwerdeentscheidungen des Beschwerdeausschusses innerhalb einer gleichen Ausschlussfrist die weitere Beschwerde an den Vorstand erheben. Gegen die Entscheidungen des Vorstands der Bekl. ist nach § 32 Abs. 5 KVBS innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten die Klage im ordentlichen Rechtsweg zulässig.
Ab Anfang 2020 reichte der Kl. im Namen seiner Mutter Erstattungsanträge unter Verwendung des Antragsvordrucks der Bekl. jeweils per E-Mail mit einem Anhang im PDF-Format an die E-Mail-Adresse "a. .w. @kvb-bund.de" und per Telefax an die Bezirksleitung W. ein. Die Bekl. teilte dem Kl. mit, dass eine Einreichung der Erstattungsunterlagen per E-Mail oder Telefax nicht zulässig sei und erbat eine Einreichung der Unterlagen mit einem mit Originalunterschrift versehenen Vordruck auf dem Postweg an ihre zentrale Posteingangsstelle oder elektronisch über die App "KVB Erstattung". Eine vom Kl. hinsichtlich eines Teils der eingereichten Anträge daraufhin erhobene Beschwerde wurde durch den Beschwerdeausschuss der Bekl. mit Schreiben vom 30.10.2020, die weitere Beschwerde mit Schreiben vom 20.5.2021 durch den Vorstand der Bekl. zurückgewiesen.
Der Kl. ist der Auffassung, die Einreichung der Erstattungsanträge per E-Mail oder Telefax sei zulässig. Das LG hat seine Klage auf Feststellung, dass die Bekl. verpflichtet sei, ihm im Hinblick auf die für seine Mutter eingereichten Erstattungsanträge die entsprechend dem gültigen Tarif der Bekl. zu errechnenden Erstattungsbeträge zu gewähren und die festgesetzten Erstattungsbeträge an ihn auszuzahlen, abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben.
2 Aus den Gründen
[11] 1. Die Feststellungsklage ist entgegen der Auffassung des BG zulässig.
[12] Gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kl. ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Diese Voraussetzungen, die in jeder Lage des Verfahrens, auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen sind (vgl. Senat BGHZ 219, 142 Rn 14 m.w.N.), sind gegeben.
[13] a) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung stellt die vom Kl. begehrte Feststellung, dass die Bekl. verpflichtet ist, ihm im Hinblick auf die im Klageantrag näher bezeichneten Erstattungsanträge die tarifgemäßen Leistungen zu gewähren, ein nach § 256 Abs. 1 ZPO feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar. Gegenstand des Antrags ist nicht die abstrakte Vorfrage, ob die Einreichung der Erstattungsanträge per E-Mail oder Telefax nach den Satzungsbestimmungen der Bekl. zulässig war, bei der es sich für sich genommen um kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis handelt, sondern die Feststellung von Inhalt und Umfang der Leistungspflicht der Bekl. Diese kann Gegenstand der Feststellung sein (vgl. BGH NJW 2023, 217 Rn 62; MDR 2021, 1546 Rn 25 …).
[14] b) Zu Unrecht hat das BG angenommen, das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse sei nicht gegeben. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage scheitert entgegen seiner Auffassung nicht am Vorrang der Leistungsklage.
[15] aa) Ist dem Kl. eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm zwar regelmäßig das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann. Die auf Feststellung des Anspruchsgrundes gerichtete Feststellungsklage ist dann unzulässig (Senat r+s 2022, 328). Eine allgemeine Subsidiarität einer Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage besteht aber nicht.
Vielmehr bleibt – wie das BG noch zutreffend erkannt hat – die Feststellungsklage dann zulässig, wenn ihre Durchführung unter ...