[4] I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts (zfs 2024, 86) ist im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG auf Seiten des Klägers ein Verstoß gegen die Sorgfaltsanforderungen nach § 10 Satz 1 (Einfahren und Anfahren) und § 9 Abs. 5 StVO (Wenden) zu berücksichtigen. Denn der Kläger sei aus seiner Längsparkbucht am rechten Straßenrand rechts an dem stehenden Lkw vorbei teilweise über den Gehweg in den Bereich der Firmenzufahrt gefahren, um zu wenden und letztlich auf der anderen Straßenseite wieder einzuparken. Komme es wie im Streitfall im Zusammenhang mit einem solchen Fahrmanöver zu einem Unfall, spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Anfahrende bzw. Wendende schuldhaft gegen diese Sorgfaltsanforderungen verstoßen habe. Diesen Anscheinsbeweis habe der Kläger weder erschüttert noch entkräftet.
[5] Dagegen sei dem Beklagten zu 1 kein Sorgfaltspflichtverstoß vorzuwerfen. Entgegen der Annahme des Landgerichts habe der Beklagte zu 1 nicht gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot (§ 1 Abs. 2 StVO) verstoßen. Für den im vorrangigen fließenden Verkehr fahrenden Beklagten zu 1 sei nicht erkennbar oder vorhersehbar gewesen, dass der Kläger seinen Vorrang missachten werde. Etwas anderes folge auch nicht aus der Rechtsprechung zu den sog. Lückenfällen, wonach derjenige, der eine Kolonne von Fahrzeugen überhole, die aber eine Lücke gelassen habe, grundsätzlich damit rechnen müsse, dass aus dieser Lücke ein anderes Fahrzeug auf seine Fahrbahn fahre. Denn diese Rechtsprechung setze zum einen die Erkennbarkeit der Lücke für den die Kolonne im fließenden Verkehr Überholenden voraus, die hier nach den Umständen des Falles nicht gegeben gewesen sei, und sei zum anderen auf den vorliegenden Sachverhalt des Vorbeifahrens an einem in zweiter Reihe stehenden Lkw nicht übertragbar.
[6] Im Ergebnis trete die allgemeine Betriebsgefahr des Pkw des Beklagten zu 1 hinter den zweifachen Sorgfaltspflichtverstoß des Klägers vollständig zurück.
[7] II. Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat den vom Kläger geltend gemachten Anspruch aus § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG frei von Rechtsfehlern verneint. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 3 StVG sind nicht zu beanstanden.
[8] 1. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG ist – wie bei § 254 BGB – grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (stRspr, vgl. zuletzt Senat, Urt. v. 10.10.2023 – VI ZR 287/22, NJW 2024, 146 Rn 12; v. 17.1.2023 – VI ZR 203/22, NJW 2023, 1361 Rn 29; v. 8.3.2022 – VI ZR 1308/20, NJW 2022, 1810 Rn 8; jeweils m.w.N.).
[9] 2. Zu Recht hat das Berufungsgericht dem Kläger einen Verstoß gegen § 9 Abs. 5, § 10 Satz 1 StVO zur Last gelegt.
[10] Nach § 9 Abs. 5 StVO hat sich der Führer eines Fahrzeugs beim Wenden, nach § 10 Satz 1 StVO derjenige, der aus einem Grundstück (hier: der Firmenzufahrt) auf die Straße bzw. von einem anderen Straßenteil (hier: dem Längsparkplatz) auf die Fahrbahn einfahren will, besonders sorgfältig, nämlich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die auf der Straße fahrenden Fahrzeuge haben gegenüber dem vom rechten Fahrbahnrand bzw. einer Zufahrt an- und auf die Straße einfahrenden Verkehr Vorrang. Auf diesen Vorrang gegenüber dem an- und einfahrenden Verkehr dürfen die auf der Straße fahrenden Fahrzeuge vertrauen. Der An- bzw. Einfahrende hat sich darauf einzustellen, dass der ihm gegenüber vorrangig Berechtigte in diesem Sinne von seinem Recht Gebrauch macht (vgl. Senat, Urt. v. 8.3.2022 – VI ZR 1308/20, NJW 2022, 1810 Rn 9, 15; v. 20.9.2011 – VI ZR 282/10, NJW-RR 2012, 157 Rn 8; jeweils m.w.N.). Das Vorfahrtsrecht der auf der Straße fahrenden Fahrzeuge gegenüber dem auf die Straße an- und einfahrenden Verkehr gilt grundsätzlich für die gesamte Fahrbahn (Senat, Urt. v. 20.9.2011 – VI ZR 282/10, NJW-RR 2012, 157 Rn 8), zudem muss der An- bzw. Einfahrende stets mit einem Fahrstreifenwechsel eines Teilnehmers des fließenden Verkehrs rechnen (Senat, Urt. v. 8.3.2022 – VI ZR 1308/20, NJW 2022, 1810 Rn 9).
[11] Das Berufungsgericht hat – von der Revision nicht angegriffen – festgestellt, dass der Kläger von seinem ursprünglichen Längsparkplatz am rechten Fa...