OWiG § 73 Abs. 2 § 74 Abs. 2
Leitsatz
Erklärt der Betroffene, dass er in der Hauptverhandlung Angaben nicht machen könne und werde, ist klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin keine weitergehende Aufklärung des Tatvorwurfs zu erwarten ist. Die danach verbleibende theoretische Möglichkeit, der Betroffene werde bei Teilnahme an der Hauptverhandlung seinen Entschluss überdenken, reicht nicht aus, eine Befreiung von der Anwesenheitspflicht zu verweigern. Eine solche rein spekulative und nicht durch konkrete Anzeichen gestützte Erwägung kann eine Aufklärungserwartung i.S.d. § 73 Abs. 2 OWiG nicht begründen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.3.2008 – IV – 2 Ss (OWi) 13/08 – (OWi) 16/08 III
Sachverhalt
Gegen den Betroffenen ist mit Bescheid vom 2. Mai 2007 ein Bußgeld von 92,50 EUR wegen Nichtmitführens einer Bescheinigung über lenkfreie Tage (§§ 20, 21 Abs. 2 Nr. 15 FPersV) festgesetzt worden. Seinen nach Einlegung des Einspruchs gestellten Antrag, ihn von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, hat das AG abgelehnt. Den Einspruch hat das AG gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, nachdem der Betroffene im Hauptverhandlungstermin ausgeblieben war.
Das OLG lässt die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des AG zu, hebt auf die Rechtsbeschwerde dieses Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das AG zurück.
Aus den Gründen
“ … II. …. Die fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist, da deren Zulassung auf § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG beruht, der Einzelrichter zuständig (vgl. BGHR OWiG § 80a Besetzung 2).
1. Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Gesetzwidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht und damit auch die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, ist zulässig erhoben, da sie den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 S. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entspricht. … .
2. Die somit formgerecht mit der Verfahrensrüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und eines Verstoßes gegen die § 73 Abs. 2, 74 Abs. 2 OWiG erhobene Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache (vorläufig) Erfolg.
Durch das angefochtene Verwerfungsurteil ist der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt, da das AG dem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen (§ 73 Abs. 2 OWiG) zu Unrecht nicht entsprochen hat. Nicht nur die Nichtberücksichtigung von rechtzeitig vorgebrachten und hinreichenden Entschuldigungsgründen, sondern auch die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines rechtzeitig gestellten Entbindungsantrags verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. OLG Hamm VRS 107, 120, 122 [= zfs 2004, 584] u. DAR 2004, 662, 663; OLG Zweibrücken DAR 2000, 86, 87 [= zfs 1999, 537]).
Gem. § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betroffenen auf dessen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage ist die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht (mehr) in das Ermessen des Gerichts gestellt (vgl. OLG Hamm a.a.O., BayObLG DAR 2001, 371, 372). Vielmehr hat das Gericht dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.
Auf dieser Grundlage kann die Entscheidung des AG keinen Bestand haben. Der Verteidiger des Betroffenen hatte mit Schriftsatz vom 21. November 2007 mitgeteilt, dass der gegenüber dem Betroffenen erhobene Vorwurf, die erforderliche Bescheinigung nicht mitgeführt zu haben, zutreffend sei. Der Betroffene habe an diesem Tag eigentlich ein anderes Fahrzeug führen sollen, in dem neben den anderen Fahrzeugpapieren auch die maßgebliche Bescheinigung gelegen habe. Weshalb die Aufzeichnungsuhr um zwölf Stunden verstellt gewesen sei, entziehe sich der Kenntnis des Betroffenen; es sei ihm bis zum Eintreffen der Polizei nicht aufgefallen. Weitere Angaben könne und werde der Betroffene in der Hauptverhandlung nicht machen.
Auf Grund dieser Angaben war klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin keine weitergehende Aufklärung des Tatvorwurfs zu erwarten war. Die nach der eindeutigen Erklärung, zur Sache weder weitere Angaben machen zu können noch machen zu wollen, verbleibende theoretische Möglichkeit, der Betroffene werde bei Teilnahme an der Hauptverhandlung seinen Entschluss überdenken, reicht nicht aus, eine Befreiung von der Anwesenheitspflicht zu verweigern (vgl. OLG Zweibrücken a.a.O.). Eine solche rein spekulative und nicht durch konkrete Anzeichen gestützte Erwägung kann eine Aufklärungserwartung i.S.d. § 73 Abs. 2 ...