In dieser wie der folgenden Entscheidung (VI ZR 274/07) befasst sich der BGH mit wichtigen Fragen des Nachweises eines unfallbedingten HWS-Syndroms. In der vorliegenden Entscheidung ist die Beantwortung der Frage entscheidungs-erheblich, ob das Gericht die beantragte Einholung eines fachmedizinischen Gutachtens ablehnen darf, wenn bereits ein biomechanisches Gutachten vorliegt. Bei der Klärung der Frage, ob ein durch einen Unfall herbeigeführtes HWS-Syndrom vorliegt, werden in der Praxis sowohl ein biomechanisches Gutachten wie auch ein auf den dabei gewonnenen Anknüpfungstatsachen (vor allem die Anstoßgeschwindigkeit) aufbauendes medizinisches Gutachten eingeholt. Die Instanzgerichte hatten die Einholung eines medizinischen Gutachtens für entbehrlich gehalten, weil das biomechanische Gutachten ausreichend für die Feststellung sei, dass ein HWS-Syndrom infolge des Anstoßes eingetreten sei.
Dabei hatte der biomechanische Gutachter auf medizinischem Gebiet liegende Überlegungen angestellt, weshalb die unfallbedingte Belastung des Geschädigten für die Entstehung eines HWS-Syndroms nicht ursächlich geworden sein könne. Der BGH sah in dieser Übernahme der Feststellungen des Gutachtens eine Verletzung der Aufklärungspflicht. Dem biomechanisch tätigen Gutachter fehle das zur Beurteilung dieser Frage erforderliche Fachwissen. Überraschend ist diese Stellungnahme des BGH nicht. Stets hat die Rspr. den Grundsatz betont, dass Aussagen über Sachfragen zur Beurteilung der Rechtslage nur dann verfahrensfehlerfrei gewonnen sind, wenn sie von einem hierfür Sachverständigen gewonnen und in den Prozess eingeführt werden. Versuchen von Richtern auf Grund eigener angenommener Sachkunde zur Vermeidung einer kostenträchtigen und die Erledigung verzögernden Verfahrensweise durch Beauftragung eines Sachverständigen die Sachfrage als geklärt anzusehen, ist der BGH entgegen getreten. Zwar darf der Richter aus eigener vorhandener Sachkunde die Einholung eines Gutachtens als entbehrlich ansehen, muss aber im Urteil seine vorhandene Sachkunde im Einzelnen darlegen (vgl. BGH NJW 2000, 1946 f.), was der BGH bei schwierigen technischen und medizinischen Fragen im Ergebnis als aussichtslos ansieht (vgl. BGH VersR 1994, 984 f.). Damit liegt im Regelfall eine Grenzüberschreitung des Richters vor, der auf ungenügender Sachkunde aufbauende Feststellungen in den Rechtsstreit einführt. Diese Grenze überschreitet auch der Sachverständige, der Aussagen zu benachbarten Fachgebieten trifft.
Dass das Vorgehen des Gerichts auf dem Bestreben beruht, die Gewinnung von Aussagen über Sachfragen ökonomischer zu gestalten, den von vielen als übertrieben angesehenen Aufwand zu senken und schneller entscheiden zu können, rechtfertigt den Verzicht auf gewonnene Aussagen durch hierfür Sachkundige und deren Berücksichtigung im Rechtsstreit nicht, da die Aufklärungspflicht als Ziel der Prozessführung durch Gewährleistung der zutreffenden Klärung von Sachfragen durch hierfür Fachkundige vorgeht. Mit dieser betonten Grenzziehung entscheidet sich der BGH zugleich für den Vorrang medizinischer Gutachtenerstattung im typischen HWS-Rechtsstreit.
RiOLG Heinz Diehl, Frankfurt/M.