ZPO § 286
Leitsatz
Die beantragte Einholung eines fachmedizinischen Gutachtens zum Beweis des Ursachenzusammenhangs zwischen einem Unfall und vorhandenen Beschwerden ist nur dann nicht erforderlich, wenn auszuschließen ist, dass die Partei damit den Beweis der Unfallursächlichkeit führen kann.
BGH, Urt. v. 3.6.2008 – VI ZR 235/07
Sachverhalt
Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche auf Grund eines Verkehrsunfalls, der sich am 6.3.2003 gegen 9:30 Uhr ereignete. Als die Klägerin mit ihrem Pkw VW Golf an einer Kreuzung vor einer Lichtzeichenanlage, die für sie Rotlicht zeigte, hielt, fuhr ein Mercedes Kombi, dessen Halterin die Beklagte zu 1) und dessen Haftpflichtversicherer die Beklagte zu 2) ist, von hinten auf ihr Fahrzeug auf. Die volle Haftung der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. An dem Pkw der Klägerin entstand ein Sachschaden von 786,04 EUR, an dem anderen Fahrzeug ein solcher von 1.810,35 EUR.
Die Klägerin behauptet, sie habe bei dem Unfall ein HWS-Schleudertrauma und eine schwere Kniegelenksdistorsion rechts erlitten und sei deshalb vom 6.3.bis 9.4.2003 arbeitsunfähig gewesen. Sie begehrt ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 2.000 EUR, Ersatz von Heilbehandlungskosten in Höhe von 646,19 EUR und Ausgleich eines Verdienstausfallschadens in Höhe von 2.208,64 EUR.
Das AG hat ein biomechanisches Sachverständigengutachten des Diplom-Ingenieurs und Humanbiologen Dr. A eingeholt und die Klage abgewiesen. Das LG hat die Berufung der Klägerin nach Einholung eines Ergänzungsgutachtens und persönlicher Anhörung des Sachverständigen zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Aus den Gründen
[4] “I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass die von der Klägerin geklagten Beschwerden nicht auf den Verkehrsunfall zurückzuführen seien. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei das Beklagtenfahrzeug mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von etwa 5 bis 8 km/h aufgefahren. Dadurch sei der Pkw der Klägerin um ca. 5 bis 6 km/h beschleunigt worden. 6 km/h sei auf Grund des Schadensbildes an beiden Fahrzeugen die maximal mögliche Geschwindigkeitsänderung des klägerischen Fahrzeugs. Dieses sei mit einer Spitzenbeschleunigung von gerundet ca. 2,4 bis 3,5 g nach vorne beschleunigt worden. Wenn die Klägerin, die zum Unfallzeitpunkt mit beiden Füßen das Kupplungs- und das Bremspedal bedient habe, auf Grund der unfallbedingten Beschleunigung mit ihrem rechten Knie in der vom Sachverständigen beschriebenen dritten Bewegungsphase (sog. Rebound) die Lenkradsäule berührt haben sollte, hätte dies allenfalls mit einer Relativgeschwindigkeit von 2 bis maximal 3 km/h erfolgen können. Ein derart leichter Anstoß reiche nicht aus, um eine Kontusion oder gar eine Kniegelenksdistorsion herbeizuführen. Auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und der HWS-Distorsion sei nicht mit hinreichender Sicherheit nachweisbar. Bei der von den behandelnden Ärzten gestellten Diagnose handele es sich um eine nicht objektivierbare Verdachtsdiagnose. Morphologisch fassbare Befunde lägen nicht vor. Die unfallbedingte Belastung der Halswirbelsäule habe für das Entstehen einer HWS-Distorsion nicht ausgereicht. Die im Bereich des Kopf-Hals-Systems aufgetretene maximale Spitzenbeschleunigung von 2,5 g habe dazu geführt, dass zwischen Kopf und Hals Spitzenkräfte der Größenordnung von 30 Newton und im Bereich zwischen Hals- und Brustwirbelsäule Spitzenkräfte von maximal 55 Newton eingewirkt hätten. Dies seien Belastungen des täglichen Lebens. Die Klägerin verfüge über eine normale Konstitution und eine normal ausgebildete Muskulatur im Halsbereich. Degenerative Vorschäden seien nicht vorhanden.
[5] Der Sachverständige Dr. A verfüge als Biomechaniker über die zur Beurteilung der maßgeblichen Fragen erforderliche Sachkunde. Wenn ein biomechanisches Gutachten – wie hier – zu dem Ergebnis komme, dass eine Kausalität zwischen den behaupteten Verletzungen und dem Unfallgeschehen nicht hinreichend nachweisbar oder gar auszuschließen sei, sei eine weitere Begutachtung nicht erforderlich. Insbesondere sei in einem solchen Fall kein fachmedizinisches Gutachten einzuholen. Ein solches könne im besten Fall vorhandene Beschwerden verifizieren, es könne aber nicht bewerten, ob diese auf dem Unfall beruhen. Die Unfallursächlichkeit könne vorliegend auch weder durch Vernehmung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen noch durch Vernehmung des Ehemannes, von Arbeitskollegen und Freunden als Zeugen geklärt werden. Diesen Beweisanträgen der Klägerin sei deshalb ebenso wenig nachzugehen wie ihrem Antrag auf Parteivernehmung oder Anhörung.
[6] II. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
[7] 1. Im Ansatz zutreffend legt das Berufungsgericht allerdings der von ihm vorgenommenen Prüfung, ob die von der Klägerin geklagten Beschwerden auf den Unfall zurückzuführen sind, die strengen Anforderungen des Vollbeweises gem. § 286 ZPO zu Grunde, denn die Frage, ob sich di...