VVG § 6 Abs. 3 (a.F.)
Leitsatz
1. Bei einem neuen Motorrad kann eine für den Versicherer gem. § 6 Abs. 3 VVG leistungsbefreiende Obliegenheitsverletzung erst angenommen werden, wenn die Angabe des Versicherungsnehmers zur Laufleistung mit "ca. 2.400 km" um mindestens 1.000 km zu gering war.
2. Allein durch die Auswertung der Schlüssel auf die Anzahl der Schließbetätigungen und die durch die Nutzung des Motorrades (etwa durch Vibration) entstehenden Gebrauchsspuren lässt sich im Regelfall mit der gem. § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit eine solche Obliegenheitsverletzung nicht feststellen, wenn der Sachverständige eine Laufleistung von 2.400 km ausschließt und tendenziell von etwa der doppelten Laufleistung überzeugt ist, solange der Versicherer nicht im Rahmen dieser engen km-Differenz ein nicht plausibles Nutzungsverhalten durch den Versicherungsnehmer nachweist (etwa auch: Länge der gefahrenen Teilstrecken, Fahrbahnbeschaffenheiten), weil dann Zweifel an der Aussagekraft der Spuren verbleiben.
OLG Celle, Urt. v. 12.6.2008 – 8 U 44/07
Aus den Gründen
“ … Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 6.962,07 EUR aus der mit der Beklagten geschlossenen Teilkaskoversicherung gem. §§ 1 Abs. 1 S. 1, 49 VVG, §§ 12, 13 AKB infolge der Entwendung seines Motorrades am 22.3.2006 zu.
1. Der Kläger hat das äußere Bild des Entwendungstatbestandes seines Motorrades nachgewiesen.
Für einen behaupteten Diebstahl eines Kraftfahrzeuges bzw. Motorrades genügt der Versicherungsnehmer zunächst seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er Anzeichen behauptet und ggf. beweist, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das äußere Bild eines Diebstahls ergeben. Dieses äußere Bild eines Diebstahls ist im Allgemeinen schon dann gegeben, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt hat, an dem er es später nicht mehr vorfindet (BGHZ 130, 1, 3. BGHZ 132, 79, 81 … ). Diesen Minimalsachverhalt hat der Versicherungsnehmer in vollem Umfang zu beweisen. Beweiserleichterungen kommen ihm hierbei nicht zu. Falls dem Versicherungsnehmer keine Zeugen zur Verfügung stehen, kann das Gericht im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses die Behauptungen und Angaben des Versicherungsnehmers im Rahmen einer persönlichen Anhörung gem. § 141 ZPO unter Umständen auch dann glauben, wenn dieser ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann …
Vorliegend hat das LG den Kläger persönlich nach § 141 ZPO angehört. Dieser hat nachvollziehbar geschildert, wie er das Motorrad abgestellt und nach seiner Rückkehr zum Abstellplatz nicht wieder vorgefunden hat. Die erkennende Einzelrichterin hat sich in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausführlich mit den Angaben des Klägers in dessen Anhörung auseinander gesetzt und ihm Glauben geschenkt. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Beweiswürdigung des LG sind nicht ersichtlich. Die unter 2. erörterten Verdachtsmomente, die für eine “ungenaue’ Angabe des Klägers zur Laufleistung des Motorrades sprechen könnten, hindern weder, seinen Angaben zum Minimalsachverhalt zu folgen, noch erlauben sie, die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Manipulation festzustellen:
Beweist der Versicherer konkrete Tatsachen oder sind diese unstreitig, die die Annahme mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nahe legen, dass der Diebstahl nur vorgetäuscht ist, so braucht er nicht zu leisten, wenn nicht der Versicherungsnehmer seinerseits den Vollbeweis für den Diebstahl erbringt (BGH NJW 1996, 993; VersR 1993, 571, 572). Hier kommt es auf eine Gesamtschau an, wobei auch falsche Angaben über die Laufleistung des Fahrzeuges zwecks Erschleichens einer höheren Entschädigung ein Indiz bilden können. Insoweit handelt es sich hier um die Problematik, die auch für die Frage der Obliegenheitsverletzung relevant ist. Unabhängig von dem fehlenden Nachweis der falschen Angaben des Klägers über die Laufleistung seines Motorrades (Ziff. 2.) würde dies allein jedoch nicht genügen, die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Diebstahls zu begründen, da sie in erster Linie darauf hindeuten würden, dass der Kläger unzulässigerweise eine möglichst hohe Versicherungsleistung erlangen wollte.
2. Eine Obliegenheitsverletzung des Klägers nach § 6 Abs. 3 VVG i.V.m. § 7 Ziff. V Nr. 4, Ziff. I Nr. 2 AKB hat die Beklagte nicht nachweisen können.
Die Beklagte ist nicht infolge einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung des Klägers durch Falschangaben zur Laufleistung des Motorrades von ihrer Verpflichtung zur Leistung frei geworden sein. Nach § 7 Ziff. I Nr. 2 AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. Hierzu gehört auch die Pflicht, den Versicherer wahrheitsgemäß über solche Umstände aufzuklären, die für die Höhe des eingetretenen Schadens von Bedeutung sind. Davon erfasst werden auch wahrheitsgemäße Angaben über die Fahrleistung, da diese von erheblicher Bedeutung für die Berechnung des Wiederbeschaff...