BGB § 808 Abs. 1 S. 1; ALB 86 § 9 (1); ALB 94 § 10 (1)
Leitsatz
Wird mit der Kündigung eines Versicherungsvertrages zugleich der Originalversicherungsschein vorgelegt, der den Kündigenden als Versicherungsnehmer ausweist, und ist die Kündigung mit dessen Namen unterzeichnet, darf der Versicherer grundsätzlich mit befreiender Wirkung an die bezeichnete Zahlstelle leisten, selbst wenn die Unterschrift unter der Kündigungserklärung – wie sich später herausstellt – gefälscht war.
BGH, Urt. v. 20.5.2009 – IV ZR 16/08
Sachverhalt
Der Kläger nimmt die Beklagte aus zwei im Jahre 1986 abgeschlossenen Lebensversicherungsverträgen in Anspruch. Einer dieser Verträge habe zum 1.7.2004 das Ende der vereinbarten Laufzeit erreicht; der andere Vertrag sei mit Schreiben vom 24.6.2004 gekündigt worden. Die Beklagte meint, die Verträge seien auf Grund einer bereits Ende des Jahres 2000 unter Vorlage der Versicherungsscheine eingegangenen Kündigung und anschließender Auszahlung des Rückkaufswerts beendet worden.
In den Versicherungsbedingungen beider Verträge wird in der Sache übereinstimmend geregelt, dass der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins als berechtigt ansehen kann, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere die Leistung in Empfang zu nehmen; der Versicherer kann aber verlangen, dass der Inhaber des Versicherungsscheins seine Berechtigung nachweist.
Der Kläger hat vorgetragen, er sei seit Mitte 2000 in versicherungsrechtlichen Fragen von einem Versicherungsmakler betreut worden. Dieser habe ihm geraten, die mit der Beklagten abgeschlossenen Versicherungsverträge beitragsfrei zu stellen; dafür würden die Originalversicherungsscheine benötigt. Darauf habe er dem Versicherungsmakler die Policen ausgehändigt. Die in der Folgezeit unter seinem Namen bei der Beklagten eingegangenen Kündigungsschreiben hält der Kläger für gefälscht. Bei der Beklagten ging zunächst ein Handschreiben vom 22.11.2000 ein, nach dessen Text der Kläger unter Kündigung der Versicherungen um Auszahlung des Rückkaufswerts auf sein "bekanntes Konto" bat. Es folgte ein mit dem Namen des Klägers unterschriebenes Maschinenschreiben vom 8.12.2000, in dem beide Lebensversicherungen nochmals gekündigt und um Auszahlung des Rückkaufwertes auf ein neues Konto bei der D B gebeten wurde. Die Beklagte erhielt ein weiteres, mit dem Namen des Klägers unterzeichnetes Schreiben vom 27.12.2000, in dem auf der Kündigung beider Verträge bestanden wurde; die Überweisung sollte nunmehr auf ein Konto der B V erfolgen. In einem ebenfalls mit dem Namen des Klägers unterzeichneten Schreiben vom 22.1.2001 wurde nochmals um Auszahlung auf das Konto bei der B V gebeten mit dem Zusatz, es handle sich um ein Konto der Tochter des Klägers. Tatsächlich war eine Unberechtigte die Kontoinhaberin. Auf dieses Konto wurden die Rückkaufswerte am 25.1.2001 überwiesen.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: [9]„ … II. 1. Mit der dem Versicherer vertraglich eingeräumten Berechtigung an den Inhaber des Versicherungsscheins mit befreiender Wirkung zu leisten, ohne aber diesem gegenüber zur Leistung verpflichtet zu sein, wird der Versicherungsschein zu einem qualifizierten Legitimationspapier i.S.d. § 808 BGB. Die Legitimationswirkung des § 808 Abs. 1 S. 1 BGB erstreckt sich auf die vertraglich versprochenen Leistungen. Eine solche ist bei einer Lebensversicherung aber nicht nur die Leistung der Versicherungssumme im Versicherungsfall, sondern auch die Leistung des Rückkaufswerts nach Kündigung des Vertrages; denn das Recht auf Rückkaufswert ist nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme. Demgemäß erstreckt sich die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins als Urkunde i.S.d. § 808 BGB auch auf das Kündigungsrecht zur Erlangung des Rückkaufswerts. Der Versicherer kann den Inhaber des Versicherungsscheins deshalb schon nach § 808 BGB – und unabhängig davon, dass sich die Inhaberklausel auch auf Verfügungen über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag erstreckt – als zur Kündigung berechtigt ansehen, wenn dieser die Auszahlung des Rückkaufswerts erstrebt (Senat VersR 2000, 709 unter 3 m.w.N.). Damit nimmt die Inhaberklausel dem Versicherer das Risiko der Doppelzahlung und der Uneinbringlichkeit seiner Kondiktion gegen den vermeintlichen Gläubiger ab.
[10] 2. a) Das KG hat … unterschieden zwischen dem Kündigungsrecht, auf das sich die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins erstrecke, und der Kündigungserklärung. Soweit es um diese Erklärung gehe, werde das auf den vorgelegten Versicherungsschein gestützte Vertrauen des Versicherers nur geschützt, wenn der Kündigende die Kündigung zumindest konkludent als Inhaber des Versicherungsscheins erkläre. Eine solche Auslegung der Kündigungserklärung scheide jedoch aus, wenn mit dem Versicherungsschein eine Kündigung des Versicherungsnehmers selbst, also des Gläubigers der Forderung, vorgelegt werde. Deren Echtheit werde von der durch den gleichzeitig vorgelegten Versicherungsschein bewirkten Legitimation nicht umfasst.
[11] b) D...