VV RVG Nr. 2300; BGB § 280; BORA § 16
Leitsatz
Eine prozesskostenhilfebedürftige Partei kann dem Gebührenanspruch ihres Rechtsanwalts für sein Tätigwerden vor Einleitung des Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens einen Schadensersatzanspruch entgegenhalten, wenn er sie nicht auf die Möglichkeit, hierfür Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen, hingewiesen hat.
OLG Celle, Beschl. v. 17.7.2009 – 3 U 139/09
Sachverhalt
Die Klägerin hatte beim OLG Celle die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des LG Lüneburg beantragt. Mit dieser Berufung wollte die Klägerin ihren materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch gegen die erstinstanzlich in der Hauptsache verurteilte Beklagte weiterverfolgen, den sie auf die vorgerichtliche Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten unter Beifügung einer Kostenberechnung mit einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG nebst Auslagen i.H.v. 1.419,19 EUR stützte. Das OLG Celle hat den Prozesskostenantrag der Klägerin zurückgewiesen.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: „ … II. … 2. Indes ist der Klägerin ein Schaden nicht entstanden, da sie ihrem Rechtsanwalt für seine vorprozessuale Tätigkeit weder Vergütung gezahlt hat, noch eine solche schuldet.
a) Ein Anspruch der Partei auf Schadensersatz in Höhe der Geschäftsgebühr nach §§ 13, 14 Nr. 2300 VV RVG entsteht erst, wenn sie den fälligen Vergütungsanspruch ihres Rechtsanwalts ausgeglichen hat. Bis dahin kann sie nur Freistellung von dieser Verbindlichkeit verlangen. Dass die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten auf Grund einer, von ihm für seine vorprozessuale Tätigkeit gestellten Rechnung bezahlt hat, ist von ihr nicht vorgetragen und in Ansehung ihrer Prozesskostenhilfebedürftigkeit auch eher unwahrscheinlich.
b) Aber auch ein dann denkbarer Freistellungsanspruch der Klägerin aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB besteht nicht, weil sie ihrem Rechtsanwalt für dessen vorprozessuales Tätigwerden Gebühren nicht schuldet. Es besteht deshalb keine Verbindlichkeit, von der sie Freistellung verlangen könnte.
aa) Es ist anerkannt, dass einer i.S.v. §§ 114, 115 ZPO bedürftigen Partei für das Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren keine Prozesskostenhilfe gewährt, insbesondere kein Rechtsanwalt beigeordnet wird (BGH, NJW 1984, 2106 = AnwBl. 1985, 216). Ein Kostennachteil entsteht der prozesskostenarmen Partei hierdurch nicht, da das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren gerichtsgebührenfrei ist und dem Gegner außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden (§ 1 GKG, § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sobald die Bewilligung der Prozesskostenhilfe bewirkt ist, schützt § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO die bedürftige Partei vor einer Inanspruchnahme durch ihren beigeordneten Rechtsanwalt für alle nach der Beiordnung verwirklichten gebührenauslösenden Tatbestände (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., 2007, § 122 Rn 11).
bb) Soll dagegen ein Rechtsanwalt, dem Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren vorgelagert, außergerichtlich tätig werden, wahrt der Anspruch auf Rechtsberatung der prozesskostenhilfearmen Partei nach dem Beratungshilfegesetz ihre Chancengleichheit im Vergleich zu finanziell gutgestellten Rechtssuchenden (BGH, a.a.O., Rn 7). Danach kommt hier ein Anspruch des Rechtsanwalts auf die Regelgebühren nach dem RVG gegen die Klägerin nicht in Betracht.
(1) Sollte nämlich die Klägerin, als sie ihren späteren Prozessbevollmächtigten aufgesucht hat, erklärt haben, dass in ihrer Person die Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe gegeben sind, wäre ihr Begehren dahingehend auszulegen gewesen, dass sie Beratung und Vertretung nur unter der Voraussetzung der Beratungshilfe wünschte. Der Prozessbevollmächtigte hätte sie dann zur Vorlage des Berechtigungsscheins aufzufordern gehabt, um gegen die Staatskasse seinen Vergütungsanspruch für seine Tätigkeit nach § 44 Nr. 2500 ff. VV RVG geltend zu machen. Ein Anspruch des Rechtsanwalts auf die Regelgebühren gegenüber dem Rechtssuchenden entsteht in diesem Fall dagegen nicht (vgl. Madert, in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller/Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 17. Aufl., 2006, § 44 Rn 3).
(2) Hat die Klägerin dagegen, – was wahrscheinlich ist – ihren späteren Prozessbevollmächtigten um Rat oder Vertretung ohne Vorlage eines Berechtigungsscheins und ohne Hinweis auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe beauftragt, hätte dieser im Laufe der Beratung ohne weiteres erkennen können, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen der Beratungshilfe gegeben sind. Er war dann verpflichtet, sie auf die Möglichkeit der Beratungshilfe aufmerksam zu machen (vgl. Madert, a.a.O., Rn 4). Hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin diese Aufklärung unterlassen, ist darin eine Pflichtverletzung des Anwaltsvertrages gem. § 280 Abs. 1 BGB zu sehen, aus der der Klägerin ein Schadensersatzanspruch in einer seinem Gebührenanspruch entsprechenden Höhe erwachsen ist, den sie dem Gebührenanspruch ihres Prozessbevollmächtigten entgegenhalten kann. Die Verpflichtung, bei begründetem Anlass auf die Mö...