GG Art. 3 Abs. 1; SGB VII § 104 Abs. 1
Leitsatz
Der Ausschluss von Ansprüchen nach § 104 Abs. 1 SGB VII wegen eines Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, ist mit Art. 3 Abs. 1 GG auch im Verhältnis eines Kindergartenkindes zum Sachkostenträger der Kindertageseinrichtung vereinbar.
BGH, Urt. v. 4.6.2009 – III ZR 229/07
Sachverhalt
Der am 13.1.1998 geborene Kläger nimmt die beklagte Stadt wegen der Folgen eines Unfalls beim Besuch des Kindergartens auf Schmerzensgeld in Anspruch.
Der Kläger besuchte gem. einer Anmeldung seiner Eltern eine sog. Waldkindergartengruppe des von der Beklagten betriebenen Kindergartens. Am 21.4.2004 begaben sich die Kinder mit zwei Erzieherinnen in den an das Kindergartengelände angrenzenden Wald, um dort zu spielen und mit Naturmaterialien und mitgebrachten Werkzeugen zu basteln. Ein anderes Kind der Gruppe zog einen im Boden steckenden Schraubenzieher heraus und verletzte bei einer Rückwärtsbewegung den Kläger am rechten Auge, dessen Hornhaut perforiert wurde. Am Abend desselben Tages wurde der Kläger operiert; weitere Behandlungen schlossen sich an. Ein Schielen konnte später operativ behoben werden. Verblieben sind eine Hornhautverkrümmung rechts, eine Hornhautnarbe rechts mit Herabsetzung des Sehvermögens und eine Blendungsempfindlichkeit. Um ein erneutes Schielen zu vermeiden und seine volle Sehfähigkeit zu erreichen, muss der Kläger auf Dauer eine Brille tragen.
Der Kläger wirft der Beklagten vor, die für sie tätigen Erzieherinnen hätten ihre Sorgfaltspflichten verletzt.
Der Kläger hat die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 25.000 EUR begehrt, außerdem die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihn von künftigen materiellen und immateriellen Schäden freizustellen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Schmerzensgeldantrag weiter.
Im Laufe des Revisionsverfahrens hat die Unfallkasse N-W, Regionaldirektion W-L durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 13.2.2009 den Unfall als Versicherungsfall (Arbeitsunfall) i.S.d. § 8 SGB VII anerkannt.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: [6] „Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
[7] I. Nach Auffassung des BG ist sowohl im Falle einer Amtspflichtverletzung als auch bei Verletzung der Pflichten aus einem (öffentlich-rechtlichen) Vertrag ein Schmerzensgeldanspruch des Klägers nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen, weil weder eine vorsätzliche Herbeiführung des Schadens noch ein Wegeunfall gegeben sei. § 104 Abs. 1 SGB VII sei auch auf Unfälle im Kindergarten anwendbar und insoweit – ebenso wie die Vorgängerregelung des § 636 Abs. 1 S. 1 RVO – verfassungskonform. Der Verlust des Schmerzensgeldanspruchs werde dadurch aufgewogen, dass die gesetzliche Unfallversicherung den materiellen Nachteil verschuldensunabhängig ersetze. Ansonsten bekäme der Kläger selbst seine materiellen Schäden nur dann ersetzt, wenn das Verhalten auf Seiten der Beklagten als schuldhaft einzustufen wäre. Unerheblich sei, dass nunmehr nach § 253 Abs. 2 BGB auch wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten Schmerzensgeld verlangt werden könne. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII beziehe sich auf alle Haftungsgründe des bürgerlichen Rechts.
[8] II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Das BG hat den vom Kläger geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch im Ergebnis zu Recht als gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen erachtet.
[9] 1. Nach dieser Vorschrift sind Unternehmer den Versicherten, die für ihr Unternehmen tätig sind oder zu diesem in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, zum Ersatz von Personenschäden nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben.
[10] a) Das BG ist bei der Prüfung eines Haftungsausschlusses von zutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen: Der Kläger ist gesetzlich Unfallversicherter, weil er als Kind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a SGB VII eine nach § 45 Abs. 1 S. 1 SGB VIII erlaubnispflichtige Tageseinrichtung – den Kindergarten der Beklagten – besuchte. Die Beklagte ist Sachkostenträgerin der Kindertageseinrichtung und damit nach § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII als Unternehmerin anzusehen. Die Verletzung des rechten Auges des Klägers während des Besuchs des Kindergartens ist ein durch eine versicherte Tätigkeit hervorgerufener Personenschaden. Der Versicherungsfall wurde weder vorsätzlich noch auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt. Der Haftungsausschluss bezieht sich auf alle Haftungsgründe des bürgerlichen Rechts (BAG, VersR 2005, 1439; Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., 31. Kap. Rn 13; jew. m.w.N.).
[11] b) aa) Allerdings hat das BG bei seiner Entscheidung § 108 SGB VII nicht beachtet. Nach dieser Vorschrift sind Gerichte außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bei Entscheidungen über die in den §§ 104 b...