BGB § 249 Abs. 2 S. 2
Leitsatz
Schafft sich der Geschädigte unter Anfall von Mehrwertsteuer ein Ersatzfahrzeug an, ohne dass ein wirtschaftlicher Totalschaden vorliegt, kann er den Ersatz der Mehrwertsteuer bis zu der Höhe verlangen, in der diese im Falle der Reparatur seines beschädigten Fahrzeugs angefallen wäre.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Aschaffenburg, Urt. v. 24.2.2011 – 23 S 129/10
Sachverhalt
Der Kl. hat die Verurteilung der beklagten Haftpflichtversicherung auf Erstattung der in einem vorprozessualen Gutachten für sein unfallbeschädigtes Kfz auf die erforderlichen Reparaturkosten anfallende Umsatzsteuer verfolgt. Der Gutachter hatte auf die Reparaturkosten eine anfallende Mehrwertsteuer von 1.935,67 EUR ermittelt und festgestellt, dass ein wirtschaftlicher Totalschaden nicht vorliegt. Der Kl. führte jedoch die Reparatur nicht durch, sondern veräußerte sein unfallbeschädigtes Fahrzeug unrepariert und kaufte einen Neuwagen, wobei Mehrwertsteuer i.H.v. 7.197,84 EUR anfiel.
Die Bekl. zahlte an den Kl. den Nettobetrag der festgestellten voraussichtlichen Reparaturkosten und lehnte die Zahlung der darauf entfallenden Mehrwertsteuer mit der Begründung ab, der Kl. habe keine gleichwertige Ersatzsache angeschafft und Umsatzsteuer sei nur dann zu ersetzen, wenn sie bei einer durchgeführten Reparatur angefallen sei.
Das LG folgte der Auffassung des AG, dass die Mehrwertsteuer bis zu dem Betrag erstattungsfähig sei, in der sie im Falle der Reparatur angefallen wäre.
2 Aus den Gründen:
“1. Die Frage, ob dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls, dessen Pkw nach einem erholten Gutachten mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand zu reparieren ist und der sich dennoch statt zur Reparatur unter Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitspostulat gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zum Kauf eines Neuwagens entscheidet, neben dem Anspruch auf Ersatz der Netto-Reparaturkosten auch ein Anspruch auf Zahlung von Umsatzsteuer (in der Höhe, in der diese im Falle der Reparatur des Fahrzeugs angefallen wäre) zusteht, ist umstritten und höchstrichterlich noch nicht entschieden.
a) Der BGH (BGH NJW 2009, 3713 f.) war mit einem Fall befasst, in dem es zwar ebenfalls um einen Geschädigten ging, an dessen Fährzeug ein eindeutiger Reparaturschaden weit entfernt vom Totalschaden entstanden war und der das Fahrzeug unrepariert veräußert und ein nicht gleichwertiges Ersatzfahrzeug erworben hat. Im Unterschied zum hierzu entscheidenden Fall wurde das Ersatzfahrzeug jedoch von Privat erworben, sodass keine Umsatzsteuer anfiel. Insoweit hat der BGH entschieden, dass, wenn ein Geschädigter den Weg der Ersatzbeschaffung wähle, obwohl nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot nur ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten bestehe, ihm jedenfalls dann kein Anspruch auf Ersatz der Umsatzsteuer zustehe, wenn bei der Ersatzbeschaffung keine Umsatzsteuer angefallen ist. Zur Begründung hat der BGH ausgeführt, dass dem Geschädigten im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung stünden, nämlich die Reparatur des Unfallfahrzeugs oder die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs. Dabei habe der Geschädigte jedoch grds. diejenige Alternative zu wählen, die den geringsten Aufwand erfordert. Darüber hinaus finde das Wahlrecht des Geschädigten seine Schranke an dem Verbot, sich durch den Schadensfall zu bereichern. Denn auch wenn er vollen Ersatz verlangen könne, solle der Geschädigte an dem Schadensfall nicht verdienen. Zwar verbleibe dem Geschädigten die Möglichkeit, dem Wirtschaftlichkeitspostulat nicht zu folgen und eine höherwertige Ersatzsache zu erwerben. Auch in diesem Fall könne er nach dem Wirtschaftlichkeitspostulat aber nur auf Reparaturkostenbasis abrechnen, weil eine Reparatur den geringsten Aufwand zur Schadensbeseitigung erfordere. Rechne der Geschädigte auf der Basis eines vorgerichtlich eingeholten Gutachtens ab, handele es sich um eine fiktive Schadensabrechnung, weil eine Reparatur tatsächlich nicht durchgeführt worden sei. Nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB schließe der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen sei. Mit dieser durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften v. 19.7.2002 eingeführten gesetzlichen Regelung habe der Gesetzgeber nichts an der Möglichkeit des Geschädigten ändern wollen, den für die Herstellung erforderlichen Geldbetrag stets und insoweit zu verlangen, als er zur Herstellung, des ursprünglichen Zustandes tatsachlich angefallen sei. In diesen Fällen komme es für den Ersatz der Umsatzsteuer nur darauf an, ob sie zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes angefallen sei, nicht aber welchen Weg der Geschädigte zur Wiederherstellung beschritten habe. Bei der fiktiven Schadensabrechnung nach einer Beschädigung von Sachen solle sich nach der Absicht des Gesetzgebers allerdings deren Umfang mindern, indem die fiktive Umsatzsteuer als zu ersetzender Schaden entfalle. Umsatzsteuer solle nur noch ersetzt werden, wenn und soweit sie...