BGB § 839; BerlStrG § 7
Leitsatz
Zur Amtshaftung des Landes Berlin wegen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für einen seit Jahren in einem "desolaten" Zustand befindlichen Gehweg.
BGH, Urt. v. 5.7.2012 – III ZR 240/11
Sachverhalt
Die im Jahre 1939 geborene Kl. verlangt von dem Bekl. materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten.
Die Kl. stürzte am Vormittag des 24.9.2009 auf einem von ihr seit etlichen Jahren benutzten Überweg des Mittelstreifens der N-Straße an der Kreuzung zur A-Straße in Berlin-P. Dieser vor dem 3.10.1990 angelegte Weg bestand am Tage des Sturzes wie schon in den Jahren zuvor aus stark verwitterten und keine ebene Fläche mehr aufweisenden Betonplatten. Die letzte turnusmäßige Begehung durch einen Mitarbeiter des Bezirksamts des Bekl. hatte am 4.9.2009 stattgefunden. Am Unfalltag blieb die Kl., die festes Schuhwerk trug, mit einem Fuß in einem etwa 2 bis 2,5 cm tiefen Loch hängen und fiel zu Boden, wobei sie sich schwere Verletzungen im Gesicht, Prellungen im Arm- und Brustbereich sowie eine Verstauchung des rechten Handgelenks zuzog.
Das LG hat der Klage im Wesentlichen – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils der Kl. von 10 % – stattgegeben. Die Berufung des Bekl. hat keinen Erfolg gehabt. Hiergegen richtet sich die vom KG zugelassene Revision des Bekl.
2 Aus den Gründen:
[4] “Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
[5] I. Nach Auffassung des BG ist das schädigende Ereignis Folge einer von dem Bekl. zu vertretenden Verletzung der im Land Berlin hoheitlich ausgestalteten Straßenverkehrssicherungspflicht. Der streitgegenständliche Überweg habe sich ausweislich der vorgelegten Lichtbilder insg. in einem desolaten Zustand befunden, der unstreitig so auch bereits seit Jahren bestanden habe. Der Bekl. könne sich nicht darauf berufen, seine jahrelange Untätigkeit stelle deshalb keine Pflichtverletzung dar, weil die Gefahrenlage so gravierend sei, dass diese von einem durchschnittlich sorgfältigen Fußgänger bereits bei flüchtigem Hinsehen ohne weiteres bemerkt werden könne. Jedenfalls für den vorliegenden Fall sei eine solche Auffassung zum Unterhalt öffentlicher Wege nicht vertretbar. Die Oberfläche der Betonplatten des Überwegs sei rissig und an verschiedenen Stellen aufgebrochen gewesen und habe diverse Vertiefungen bis zu 3,2 cm aufgewiesen. Der insg. desolate Zustand des Gehwegs habe in seiner Gesamtheit eine Stolper- und Sturzgefahr dargestellt, die bei der von einem Fußgänger zu erwartenden Sorgfalt zwar erkennbar, jedoch bei der Benutzung nicht mehr sicher zu beherrschen gewesen sei. Völlig zutreffend habe das LG daher festgestellt, dass es lediglich eine Frage der Zeit gewesen sei, bis ein Fußgänger auch bei noch so großer Vorsicht zu Schaden komme. Hierbei könne offen bleiben, ob ein einzelner – für sich genommen aber gefahrträchtiger – Gehwegschaden dann hinzunehmen sei, wenn er mit einem Blick gut erkennbar und insoweit beherrschbar sei, als der Fußgänger ihm einfach ausweichen könne. Denn um eine solche Fallgestaltung handele es sich hier nicht; vielmehr sei der gesamte Überweg schadhaft und ein Ausweichen auf einen schadlosen Bereich unmöglich gewesen. In diesem Zusammenhang könne sich der Bekl. auch nicht darauf berufen, dass die Kl. von der Benutzung des Wegs gänzlich hätte absehen können. Er habe den Verkehr eröffnet, den ihm bekannten Zustand aber nicht zum Anlass genommen, den Weg zu sperren, so dass er der Kl. nunmehr nicht entgegenhalten könne, sie hätte den Weg nicht benutzen dürfen. Im Übrigen gehe es bei dem Weg um einen übergeordneten Verkehrsbereich. Wie der Bekl. selbst vorgetragen habe, handele es sich bei der Umgebung der N-Straße um ein Wohngebiet mit überwiegend älteren Bewohnern, denen durch den Überweg die Möglichkeit des Überquerens der Straße zum Zwecke der Aufsuchung eines Einkaufcenters eröffnet worden sei. Auch dies hätte der Bekl. zum Anlass nehmen müssen, den Weg instand zu halten und ihn nicht über Jahre in einem gefährlichen Zustand zu belassen. Insoweit hätte der Bekl. auch berücksichtigen müssen, dass in ihrer Bewegungs-, Seh- und Reaktionsfähigkeit eingeschränkte und daher bezüglich der hier streitgegenständlichen Gefahr besonders anfällige ältere Menschen den Weg benutzten. Auch seien die einzelnen Vertiefungen in der Betonoberfläche nicht so scharf umrissen, dass sie sich optisch derartig voneinander abheben würden, als dass der aufmerksame Fußgänger zwingend Einzelheiten des Gehwegprofils ohne weiteres in ihrer konkreten Ausgestaltung zu erkennen vermöge. Hinzu komme, dass sich der schadhafte Gehweg in einem Bereich befinde, bei dem damit gerechnet werden müsse, dass sich der sorgfältige Fußgänger bereits im besonderen Maß auf den Straßenverkehr und nicht so sehr auf die Beschaffenheit des Bodens konzentriere, bei der Nutzung des auf dem Mittelstreifen angelegten Überwegs mithin seinen Blick im Wesentlichen bereits auf den Fahrzeugverkehr der sogleich zu querenden zweiten Fahrbahn der N-Straße richte. Ohne E...