BGB § 842; StVG § 11 S. 1; SGB II § 19; SGB X § 116 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Ein Erwerbsschaden i.S.d. § 842 BGB entsteht auch demjenigen, der infolge des verletzungsbedingten Wegfalls seiner Erwerbsfähigkeit seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II aus § 19 SGB II verliert.
BGH, Urt. v. 25.6.2013 – VI ZR 128/12
Sachverhalt
Die klagende Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung nimmt die beklagte Haftpflichtversicherung aus übergegangenem Recht ihres Versicherten S auf Ersatz von Rentenleistungen und Beiträgen zur Rentenversicherung in Anspruch. S wurde bei einem Verkehrsunfall, für den die Bekl. in vollem Umfang eintrittspflichtig ist, schwer verletzt. Im Unfallzeitpunkt war S arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld II. Aufgrund der schweren unfallbedingten Verletzungen bezieht S seit dem 1.5.2008 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Kl. macht anteiligen Ersatz der von ihr in der Zeit vom 1.5.2008 bis zum 30.11.2010 erbrachten Rentenzahlungen in Höhe des von S ohne die unfallbedingt eingetretene Erwerbsunfähigkeit bezogenen Arbeitslosengeldes II geltend. Weiterhin verfolgt die Kl. die Verurteilung der Bekl. zum Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung für die Zeit vom 1.7.2008 bis zum 30.11.2010 sowie die Feststellung der Verpflichtung der Bekl., ihr weitere unfallbedingt an S erbrachte Rentenleistungen sowie weitere Beitragsausfälle zu ersetzen.
Die Abweisung der Klage durch das LG hat das BG bestätigt. Die zugelassene Revision der Kl. führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das BG zur neuen Verhandlung und Entscheidung.
2 Aus den Gründen:
[8] "… Mit der Begründung des BG kann ein Anspruch der Kl. auf Ersatz der an S erbrachten Rentenleistungen und von entgangenen Beiträgen zur Rentenversicherung aus §§ 823 Abs. 1, 842 BGB, §§ 7 Abs. 1, 11, 18 Abs. 1 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG a.F., §§ 116 Abs. 1 S. 1, 119 Abs. 1 S. 1 SGB X nicht verneint werden."
[9] 1. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des BG, S sei infolge des Unfalls kein Erwerbsschaden i.S.d. § 842 BGB, § 11 S. 1 StVG entstanden.
[10] a) Da S im Zeitpunkt des Unfalls arbeitslos war und auf der Grundlage der Feststellungen des BG nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie in der Folgezeit in eine Arbeitsstelle hätte vermittelt werden können, hat sie allerdings keinen konkreten Verdienstausfallschaden erlitten. Ein solcher ist zwischen den Parteien auch nicht im Streit.
[11] b) Wie die Revision mit Erfolg geltend macht, liegt ein ersatzfähiger Erwerbsschaden jedoch darin, dass S infolge des Unfalls erwerbsunfähig geworden ist und dadurch ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld II aus § 19 SGB II verloren hat.
[12] aa) Gem. § 842 BGB, § 11 S. 1 StVG erstreckt sich bei einer Körperverletzung die Verpflichtung zum Schadensersatz auf die (Vermögens-)Nachteile, die der Verletzte durch die Aufhebung oder Minderung seiner Erwerbsfähigkeit erleidet. Dabei kommt der Arbeitskraft als solcher allerdings kein Vermögenswert zu; ihr Wegfall allein stellt deshalb auch bei “normativer’ Betrachtung keinen Schaden im haftungsrechtlichen Sinne dar (vgl. Senatsurt. v. 5.5.1970 – VI ZR 212/68, BGHZ 54, 45, 50 ff.; v. 20.3.1984 – VI ZR 14/82, BGHZ 90, 334, 336; v. 28.11.2000 – VI ZR 386/99, VersR 2001, 730, 731 m.w.N.; v. 8.4.2008 – VI ZR 49/07, BGHZ 176, 109 Rn 9 m.w.N.; siehe auch BGH, Urt. v. 24.11.1995 – V ZR 88/95, BGHZ 131, 220, 225 f.; v. 8.11.2001 – IX ZR 64/01, NJW 2002, 292, 293). Aus diesem Grunde entsteht demjenigen, der nur von seinem Vermögen oder seiner Rente lebt, arbeitsunwillig oder arbeitslos ist, ohne Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe beanspruchen zu können, allein durch den Verlust seiner Arbeitsfähigkeit noch kein ersatzpflichtiger Schaden (vgl. Senatsurt. v. 5.5.1970 – VI ZR 212/68, BGHZ 54, 45, 52; v. 20.3.1984 – VI ZR 14/82, BGHZ 90, 334, 336; v. 8.4.2008 – VI ZR 49/07, BGHZ 176, 109 Rn 9 m.w.N.).
[13] Die Ersatzpflicht greift jedoch ein, wenn durch die Beeinträchtigung der Arbeitskraft des Verletzten in dessen Vermögen ein konkreter Schaden entstanden ist. Ein solcher liegt nicht nur in dem Verlust von Arbeitseinkommen; der Erwerbsschaden umfasst vielmehr alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil und soweit er seine Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht verwerten kann, die also der Mangel der vollen Einsatzfähigkeit seiner Person mit sich bringt (vgl. Senatsurt. v. 20.3.1984 – VI ZR 14/82, BGHZ 90, 334, 336 f.; v. 8.4.2008 – VI ZR 49/07, BGHZ 176, 109 Rn 9; siehe auch Senatsbeschl. v. 20.10.2009 – VI ZB 53/08, VersR 2010, 133 Rn 7).
[14] bb) Ein derartiger Vermögensschaden entsteht auch demjenigen, der den Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II aus § 19 SGB II verliert, weil er verletzungsbedingt erwerbsunfähig geworden ist.
[15] (1) Nach der Rspr. des erkennenden Senats begründete der unfallbedingte Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe aus § 117 Abs. 1 bzw. §§ 190 ff. SGB III in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung einen Erwerbsschaden des Verletzten (vgl. Senatsu...