Die bereits in der Einleitung genannte Variante der "juristischen Kreativität" kommt nunmehr in der folgenden Überlegung zum Tragen: Es kann Sachverhalte geben, die eigentlich einen eindeutigen Verstoß hergeben, jedoch von der Rechtsfolge her, also über die bloße Geldbuße samt eintragungspflichtigen Punkten hinaus, so gravierend für den Betroffenen sind, dass sich auch eine Verfahrenseinstellung anböte. Wenn der Bußgeldrichter aber aufgrund des eigentlich eindeutigen Verstoßes eine reine Einstellung ebenso scheut wie die Reduzierung der Geldbuße auf 35 EUR, kommt eine Gestaltungsvariante ins Spiel, die in der Kommentarliteratur zwar angedacht, aber offenbar kaum praktiziert wird: die vorläufige Einstellung des Verfahrens mit Anordnung von gemeinnützigen Arbeitsstunden.
Wer auch immer bisher mit diesem Gedanken konfrontiert wurde, reagierte erwartbar: "Das ist doch verboten." Das ist aber so nicht ganz richtig. § 47 Abs. 3 OWiG lautet:
(3) Die Einstellung des Verfahrens darf nicht von der Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung oder sonstige Stelle abhängig gemacht oder damit in Zusammenhang gebracht werden.
In der Kommentarliteratur wird eine (vorläufige) Einstellung mit anderen Auflagen als einer Geldzahlung im Sinne des Abs. 3 durchaus für möglich erachtet. Dies umfasst etwa eine Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten oder die Beseitigung eines rechtswidrigen Zustands. Dazu gehört aber selbstverständlich auch die Ableistung von Sozialstunden. Diese Lösung kann aber nur in bestimmten Fallkonstellationen sinnvoll zum Tragen kommen, die unten noch erläutert werden. Wohlgemerkt: die Anregung zur Verfahrensbeendigung durch vorläufige Einstellung soll eine Art Essay sein, ein Denkversuch. Sollten durchgreifende überzeugende Bedenken laut werden, wäre es nur ein interessantes, aber untaugliches Gedankenspiel gewesen.
I. Bedenken und Argumente
Zunächst sollen mögliche Bedenken thematisiert werden. Eine Analogie zu § 153a StPO findet hier gerade nicht statt, sondern eine Auslegung der Norm unter Berücksichtigung des Opportunitätsgrundsatzes. Dessen Stärkung wird immer einmal wieder gefordert, gleichzeitig aber auch gerügt, dass das Instrument der Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen durch die Verwaltungsbehörden (§ 47 Abs. 1 S. 2 OWiG) bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung kaum eingesetzt wird. Es stellt insoweit durchaus einen Widerspruch dar, dass im Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten während des behördlichen Verfahrens in der Praxis nahezu das Legalitätsprinzip herrscht, während im Strafverfahren das Opportunitätsprinzip durch §§ 153 ff. StPO stetig mehr Raum greift. Hier könnte durch eine verstärkte Anwendung des Opportunitätsgedankens eine Entlastung der Gerichte erreichbar sein. Einstellungen aus Opportunitätsgründen müssen aber in jedem Fall das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) beachten und dürfen deshalb nicht willkürlich erfolgen.
Zudem ist im Rahmen des Opportunitätsprinzips entscheidend, ob die Durchführung des Verfahrens und gegebenenfalls die Ahndung notwendig und angemessen sind, um die Verkehrsdisziplin allgemein und beim einzelnen Betroffenen zu steigern. Würde ein in Lohn und Brot stehender Verkehrsteilnehmer auf einmal zur gemeinnützigen Arbeit während seiner Freizeit verpflichtet, wäre das für diesen ein durchaus merklicher erzieherischer Effekt, der seine Verkehrsdisziplin, auch zur Vermeidung gleichgelagerter Fälle in der Zukunft durchaus stärken könnte.
Der bloße Wortlaut des § 47 OWiG verbietet eine vorläufige Einstellung a maiore ad minus ebenfalls nicht. Auch ein Vergleich mit dem JGG unterstützt die Überlegung der vorläufigen Einstellung. Die oben schon angekündigten Fallkonstellationen betreffen typischerweise Jugendliche (begleitetes Fahren) und Heranwachsende (Probezeit), so dass teilweise der Jugendrichter auch für die entsprechenden Bußgeldverfahren zuständig ist, sofern der gerichtliche Geschäftsverteilungsplan keine anderweitige Zuordnung vorsieht. Der Jugendrichter ist dank des § 47 JGG bzw. dank des Sanktionenregimes des JGG bereits in hohem Maße prädestiniert, Rechtsfolgen in Form von Auflagen und Weisungen zu verhängen oder zu erdenken, um auf den jugendlichen Delinquenten erzieherisch einzuwirken. Klassisches Beispiel hierfür ist der Verstoß gegen § 21 StVG, der bei einem Ersttäter durchaus mit einer Einstellung nach § 47 JGG samt der Weisung, an einem Verkehrserziehungskurs teilzunehmen, ggf. noch zzgl. einer Arbeitsauflage, sanktioniert werden kann. Nun sieht sich der Jugendrichter im Bußgeldverfahren mit dem § 47 OWiG konfrontiert. Vergleicht man die Situation mit dem Jugendstrafverfahren, wo bei einer Straftat auch eine vorläufige Eins...