BGB § 839
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen eines die Haftung der verkehrssicherungspflichtigen Stadt ausschließenden, weit überwiegenden Mitverschuldens des durch einen Schnee- und Glatteisunfall geschädigten Fußgängers.
BGH, Urt. v. 20.6.2013 – III ZR 326/12
Sachverhalt
Die Kl. macht gegen die beklagte Stadt Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen behaupteter Verletzung der Räum- und Streupflicht im Zusammenhang mit einem Unfall geltend, den sie am 20.12.2010 gegen 17.30 Uhr in einem Innenstadtbereich erlitten hat. Die Kl. hat behauptet, im Kreuzungsbereich einer Straße in der Fußgängerzone aufgrund einer Glättebildung gestürzt zu sein. Die Bekl. habe den am Vortag gefallenen Schnee weder geräumt noch Salz oder abstumpfende Mittel gestreut, sodass es in dem Kreuzungsbereich äußerst glatt gewesen sei. In der gesamten Fußgängerzone habe bis zu drei bis vier cm Schneematsch gelegen. Obwohl sie äußerste Vorsicht habe walten lassen und winterfestes Schuhwerk getragen habe, habe sie den Sturz, bei dem sie einen komplizierten Trümmerbruch im oberen Sprunggelenk-Bereich erlitten habe, nicht verhindern können. Die Bekl., die behauptet hat, im Kreuzungsbereich sei zweimal täglich geräumt worden, hat sich hilfsweise zu Eigen gemacht, dass Schneematsch vorhanden gewesen sei, und hieraus abgeleitet, dass der Kl. ein Mitverschulden zur Last zu legen sei.
Das LG hat die Klage auf Ersatz des Verdienstausfalls und des Haushaltsführungsschadens, der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und die Feststellung der Verpflichtung der Bekl. zum Ersatz sämtlichen aus dem Unfall entstandenen und künftig noch entstehenden Schadens abgewiesen. Das BG hat nach erneuter Beweisaufnahme die Berufung der Kl. zurückgewiesen. Das BG hat eine Amtspflichtverletzung der Bekl. wegen unzureichender Erfüllung der Räum- und Streupflicht angenommen, für die ein Anscheinsbeweis aufgrund des Sturzes der Kl. spreche. Das BG ging jedoch davon aus, dass die Kl. die weit überwiegende Verantwortlichkeit für den erlittenen Unfall getragen habe. Sie habe sich trotz erkannter Gefahrenlage in den Innenstadtbereich begeben, sodass bei der Haftungsabwägung der etwaige Verursachungsanteil der Bekl. an dem Eintritt des Unfalls in den Hintergrund trete, vor allem auch deshalb, weil die Pflichtwidrigkeit der Bekl. nur in einem Unterlassender Räum- und Streuarbeiten bestanden habe. Der Schwerpunkt der Mitverursachung des Unfalls habe darin gelegen, dass die Kl. nach erkannter Glättegefahr gleichwohl nicht von ihrem Vorhaben Abstand genommen habe, den Bereich der Fußgängerzone zu betreten.
Die vom BG zugelassene Revision der Kl. führte zur Abänderung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das BG zur neuen Verhandlung und Entscheidung.
2 Aus den Gründen:
[14] "… 1. Nicht zu beanstanden ist freilich die Annahme des BG, dass die beklagte Stadt die ihr obliegende winterliche Räum- und Streupflicht verletzt habe."
[15] Vorliegend ist zwischen den Parteien im Kern unstreitig, dass aufgrund der vorangegangenen Schneefälle an der für den Fußgängerverkehr bedeutsamen Unfallstelle zum Unfallzeitpunkt geräumt beziehungsweise gestreut sein musste. Streitig ist, ob und inwieweit die Bediensteten der Bekl. dieser Pflicht ordnungsgemäß nachgekommen sind.
[16] Die tatrichterliche Würdigung, aufgrund der Aussagen der Zeugen R stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Bekl. ihre Räum- und Streupflicht nur unzureichend erfüllt habe, lässt keine Rechtsfehler erkennen. Die Revision nimmt dies als ihr günstig hin. Die Gegenrüge der Revisionsbeklagten, das BG habe zu ihrem Nachteil die Grundsätze des Anscheinsbeweises verkannt, bleibt ohne Erfolg. Das BG ist zwar zunächst rechtsfehlerhaft von einem Anscheinsbeweis für eine Verletzung der Streupflicht im Falle eines Unfalls innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht ausgegangen. Demgegenüber besteht nach der Rspr. des BGH bei feststehender Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht lediglich ein Anscheinsbeweis dafür, dass es ohne die Pflichtverletzung nicht zu einem Unfall gekommen wäre, dass mithin die Pflichtverletzung ursächlich für das Schadensereignis geworden ist (Senat, Beschl. v. 26.2.2009 – III ZR 225/08, NJW 2009, 3302 Rn 5 und v. 19.12.1991 – III ZR 2/91, BGHR, BGB § 839 Abs. 1 S. 1 – Streupflicht 7; BGH, Urt. v. 14.12.1993 – VI ZR 271/92, NJW 1994, 945, 946; so auch das von dem BG zitierte Urteil des OLG Hamm v. 15.10.2004, VersR 2006, 134, 135; vgl. ferner Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl., § 823 Rn 80 f.). Ein Anscheinsbeweis für die Pflichtverletzung selbst kann hingegen nicht schon dann angenommen werden, wenn es innerhalb der räumlichen und zeitlichen Grenzen der Räumpflicht zu einem Unfall gekommen ist. Insofern verbleibt es vielmehr bei der Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten für die Pflichtverletzung.
[17] Die tatrichterlichen Feststellungen tragen jedoch auch auf der Grundlage der Beweislast der Kl. für die Verletzung der Räum- und Streupflicht durch die Bekl. den entsprechenden Vollbeweis. Die Würdigung des BG, au...