StGB § 69; StPO § 111a § 136 Abs. 1 § 163a Abs. 4; OWiG § 46 Abs. 1
Leitsatz
1. Eine Belehrungspflicht nach §§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 4 StPO setzt voraus, dass von einem Anfangsverdacht gegen den Befragten auszugehen ist. Hierbei wird man den Ermittlungspersonen einen gewissen Ermessensspielraum einräumen müssen, wobei dieser vor dem Hintergrund der Bedeutung des Schweigerechts im Strafverfahren nicht im Lichte ermittlungstaktischer Interessen zu sehen ist.
2. Eine Belehrungspflicht über das Schweigerecht besteht bereits bei Feststellung der Haltereigenschaft und bevor die Beamten die Alkoholisierung des Beschuldigten wahrnehmen können, denn auch im Ordnungswidrigkeitsverfahren muss sich niemand selbst belasten.
LG Saarbrücken, Beschl. v. 27.5.2013 – 6 Qs 61/13
Sachverhalt
Dem Beschuldigten wird ein Verstoß gegen § 316 StGB zur Last gelegt. Der Blutalkoholgehalt wurde mit 1,98 Promille festgestellt. Dieser Sachverhalt beruht auf dem Ermittlungsbericht der Polizeiinspektion und dem Blutalkoholgutachten des Instituts für Rechtsmedizin. Das AG erließ auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Beschl. gem. § 111a StPO. Die Staatsanwaltschaft vertrat dabei die Auffassung, den ermittelnden Polizeibeamten habe ein Ermessen dahingehend zugestanden, ab wann der Tatverdacht der Trunkenheitsfahrt sich so verdichtet habe, dass eine Belehrung über das Aussageverweigerungsrecht erforderlich war. Die Polizeibeamten hätten ihr Ermessen nicht überschritten, so dass die Aussage des Beschuldigten im Rahmen der informellen Befragung verwertbar sei. Das Gericht ging in seinem Beschl. nicht auf die Frage der Verwertbarkeit der Angaben des Beschuldigten ein.
In seiner Beschwerde gegen den Beschl. rügt der Beschuldigte, dass die Feststellung der Fahrereigenschaft durch die ermittelnden Polizeibeamten im Wege einer informellen Befragung des Beschuldigten erfolgte, obwohl beim erstmaligen Antreffen des Beschuldigten in seiner Wohnung bereits ein Anfangsverdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit bestanden habe. Nach erfolgter Belehrung machte der Beschuldigte keine Angaben mehr. Die Angaben des Beschuldigten in seiner informellen Befragung seien unverwertbar. Das LG Saarbrücken hat den Beschluss des AG aufgehoben.
2 Aus den Gründen:
"Die Beschwerde gegen den Beschl. des AG, mit dem dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen und sein Führerschein beschlagnahmt wurde, ist nach § 304 Abs. 1, 306 S. 2 StPO zulässig. Nach § 73 Abs. 1 GVG ist die Strafkammer beim LG das zuständige Beschwerdegericht, denn es wird eine Entscheidung des Ermittlungsrichters beim AG angegriffen."
Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Die Voraussetzungen des § 111a StPO liegen derzeit nicht vor. Es sind nicht hinreichend dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass der Angeklagten nach § 69 StGB die Fahrerlaubnis entzogen werden wird.
Ein dringender Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) und damit einer Anlasstat nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB liegen derzeit nicht vor. Beim gegenwärtigen Ermittlungsstand ist nicht davon auszugehen, dass das Gericht im Erkenntnisverfahren dem Beschuldigten mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fahrerlaubnis entziehen und den Führerschein einziehen wird.
Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand ist nicht nachzuweisen, dass es der Beschuldigte war, der das Fahrzeug im fahruntüchtigen Zustand zur Tatzeit im öffentlichen Straßenverkehr, nämlich im Bereich der A-Straße in S geführt hat.
Der Beschuldigte hat dies gegenüber den Polizeibeamten PK L und PKin K-S zwar eingeräumt. Diese Angabe ist wegen eines Verstoßes gegen die aus den §§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 4 StPO folgende Belehrungsverpflichtung der Ermittlungspersonen u.a. über das Schweigerecht des Beschuldigten unverwertbar. In der Folge wäre auch eine Vernehmung der Ermittlungsbeamten zu dem Inhalt der gemachten Angaben unverwertbar.
Nach § 136 StPO, der über § 163a Abs. 4 StPO auch für Polizeibeamte im Ermittlungsverfahren gilt, ist einem Beschuldigten bei Beginn der ersten Vernehmung zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird und dass es ihm frei stehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht auszusagen. Nach st. Rspr. des BGH seit dem Beschl. v. 27.2.1992 – 5 StR 190/91 = NZV 1992, 242 führt der Verstoß gegen § 136 Abs. 1 ggf. i.V.m. § 163 Abs. 4 StPO zu einem Beweisverwertungsverbot.
Im Einzelfall ist die Frage der “Belehrungsschwelle’, also der Situation, in der eine Belehrung spätestens erforderlich wird, nicht immer einfach zu beantworten. Im Zweifel wird einer frühzeitigen Belehrung der Vorzug zu geben sein. Nach einer veröffentlichten Entscheidung des AG Bayreuth (Beschl. v. 17.10.2002 – 3 Cs 5 Js 8510/02 = NZV 2003, 202) ist bei der Suche nach einem zuvor unbekannten Fahrer, dem ein Delikt als Führer eines Kfz zur Last fällt, eine Belehrung des Halters nach § 136 Abs. 1 StPO “zwingend, weil aufgrund der Haltereigenschaft die Fahrzeugführereigenschaft nahe liegt und sich daher der Beschuldigtenkreis derart verdichtet, dass der Halter zum Zeitpunkt der Befragung bereits als potentieller Täter in B...