Der Leitsatz 1. der Entscheidung des BGH darf nicht den Blick darauf verstellen, dass für den Bereich des Straßenverkehrs bei Beteiligung von Kfz im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 StVO zahlreiche Fallgruppen einer alleinigen Haftung eines Unfallbeteiligten anzunehmen sind. Dass sich der Unfall auf öffentlichem Straßengrund ereignet hat, der Bekl. damit dem Sorgfaltsmaßstab des § 1 Abs. 2 StVO zu genügen hatte, stellt zwar eine Verbindung zum Verkehrsrecht her, führt aber nicht dazu, dass das gegenüber dem § 254 Abs. 1 BGB geltende Abwägungssystem des speziellen § 17 StVG heranzuziehen ist.
Praxiswichtige Fallgruppen gehen bei der Abwägung der Haftungsanteile an dem Eintritt des Unfalls von der alleinigen Haftung des Schädigers bei von ihm durchgeführten Verkehrsvorgängen dann aus, wenn dem bei dem Unfall Geschädigten nur die einfache Betriebsgefahr zur Last fällt. Im Einzelnen handelt es sich um folgende von dem Schädiger durchgeführte Verkehrsvorgänge:
Hinsichtlich der hierzu entwickelten Haftungsquoten wird auf die Aufstellung von Grüneberg "Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen" verwiesen.
1) Auffahren gem. §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 StVO. Zu den Grenzen des zugrunde liegenden Anscheinsbeweises und den bei der Haftungsabwägung entwickelten Sondergestaltungen wird auf die Darstellung von Pentz in der Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltsvereins – Homburger Tage 2011, S. 25 und auf Grüneberg a.a.O. Rn 90 ff. verwiesen.
2) Kollision mit dem Gegenverkehr bei Abkommen von der eigenen Fahrbahn (§ 2 Abs. 1 und 2 StVO)
Vgl. Grüneberg a.a.O. Rn 205 ff.; Lempp, in: Haus/Krumm/Quarch "Gesamtes Verkehrsrecht", § 2 Rn 48, 49).
3) Vorfahrtsverletzung (§ 8 StVO)
Vgl. Grüneberg a.a.O. Rn 8. Modifikationen der Haftungsverteilung sind vor allem bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen des Vorfahrtsberechtigten anzunehmen (vgl. LG Koblenz SP 2012, 64; Grüneberg a.a.O. Rn 14 ff.).
4) Fehlerhaftes Überholen (§ 5 Abs. 2)
Vgl. Grüneberg a.a.O. Rn 215 ff.
5) Fehlerhaftes Vorbeifahren trotz bevorrechtigten Gegenverkehrs (§ 6 StVO)
6) Fahrstreifenwechsel (§ 7 Abs. 5 StVO)
Vgl. Grüneberg a.a.O. Rn 155 ff.; AG Neumünster NZV 2012, 334; LG Hamburg NZV 2013, 81.
7) Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Verlassen eines Grundstücks, Anfahren vom Straßenrand (§§ 9 Abs. 5, 10 StVO)
Die grundsätzliche alleinige Haftung dessen, der die aufgezählten gefährlichen Fahrmanöver unternimmt, folgt aus der – auch hier (wie etwa in § 8 StVO) – bestimmten Verpflichtung, auf andere Verkehrsteilnehmer zu achten oder noch deutlicher, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (vgl. auch LG Hamburg NZV 2012, 134).
8) Ein- und Aussteigen (§ 14 StVO)
Da auch § 14 StVO ein Ein- und Aussteigen aus einem Fahrzeug nur dann als sorgfaltsgemäß ansieht, wenn dies ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geschieht, ist bei einem Zusammenstoß mit einem vorbeifahrenden Fahrzeug grds. von einer alleinigen Haftung des Halters auszugehen.
9) Nichtbeachtung von Lichtzeichen (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO)
Die Bestimmung über die Wirkung und Beachtung der Lichtzeichenanlage stellt darauf, dass eine Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sein soll (vgl. Grüneberg, a.a.O. Rn 221 f.)
10) Unfall auf beschranktem Bahnübergang (§ 19 Abs. 2 Nr. 3 StVO)
Alleinhaftung des die Bahnschranke nicht beachtenden Fahrers des Pkw, der mit herannahendem Zug zusammenstößt (Grüneberg, a.a.O. Rn 340; OLG Braunschweig VRS 3, 377)
11) Befahren entgegen einer Einbahnstraße
Haftung des "Falschfahrers" zu 100 % (vgl. OLG Frankfurt VersR 1982, 554).
12) Fehlverhalten auf der BAB (§ 18 Abs. 7 und 8)
Wenden, Rückwärtsfahren und Halten sind schlechthin auf der BAB verboten, so dass von einer alleinigen Haftung des Fahrers/Halters auszugehen ist, der diese Verkehrsvorgänge gewählt hat (vgl. Grüneberg, a.a.O. Rn 256, 264, BGH VersR 1965, 88; OLG Köln VersR 1968, 479).
Die alleinige Haftung des Geisterfahrers ergibt sich aus dem analog geregelten Fall des verbotenen Rückwärtsfahrens (vgl. BGH VersR 1966, 239; OLG Frankfurt VersR 1978, 178).
Die vorgestellten Fälle der grds. alleinigen Haftung der jeweiligen Verkehrsteilnehmer setzen voraus, dass der Unfallgegner in die Haftungsabwägung nur die von seinem Fahrzeug ausgehende allgemeine Betriebsgefahr einbringt. Häufig wird ihm allerdings vorgeworfen werden können, dass ihm eine erhöhte Betriebsgefahr zuzurechnen ist. Gefahrerhöhende Umstände können in einem technischen Versagen bzw. Mängeln des Fahrzeugs des Anspruchsstellers oder dessen Fahrweise liegen (vgl. Budewig, in: Budewig/Gehrlein/Leipold, Der Unfall im Straßenverkehr, 2008, 3. Kapitel Rn 6). Solche Umstände können mit einer hohen Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Anspruchstellers begründet werden, die die Reaktionsmöglichkeit des Fahrers vermindert hat (vgl. OLG Hamm NZV 1992, 33). Gleiches gilt für starkes Bremsen des Vorausfahrenden, das die Möglichkeit des Hinterherfahrenden zur Reaktion b...