StPO § 147; OWiG § 46 § 62

Leitsatz

Der Betr. hat schon im Verwaltungsverfahren einen Anspruch auf Überlassung der Rohmessdaten in unverschlüsselter Form, um die Grundsätze des fairen Verfahrens, aber auch um den erforderlichen Bestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen abzusichern.

AG Weißenfels, Beschl. v. 3.9.2015 – 10 AR 1/15

Sachverhalt

Gegen den Betr. erging wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein Bußgeld von 120 EUR. Nach Antrag auf Akteneinsicht und auf Überlassung der sog. Rohmessdaten der Messserie in unverschlüsselter Form, um die Ordnungsgemäßheit der dem Bußgeldbescheid zugrunde liegenden Messung zu bewerten, hat die Verwaltungsbehörde hierauf mitgeteilt, die Originaldaten der Messung seien digital signiert und verschlüsselt, eine Übersendung unverschlüsselter Daten komme nicht in Betracht. Das AG Weißenfels hat nach Antrag des Betr. gem. § 62 OWiG der Verwaltungsbehörde aufgegeben, die sog. Rohmessdaten der dem Bußgeldbescheid zugrunde liegenden Geschwindigkeitsmessung in unverschlüsselter Form an den Betr. herauszugeben.

2 Aus den Gründen:

"Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gem. § 62 OWiG zulässig, insb. statthaft. Die Verweigerung der Herausgabe der sog. Rohmessdaten in unverschlüsselter Form stellt eine Maßnahme von selbstständiger Bedeutung dar. In der Sache ist der Antrag auch begründet."

Aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens und der Gewährung rechtlichen Gehörs folgt, dass dem Betr. auf dessen Antrag hin die sog. Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen sind.

Bei dem hier angewandten Messverfahren unter Verwendung des Messgeräts ES 3.0 der Fa. ESO GmbH handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (so etwa OLG Hamm, Beschl. v. 29.1.2013 – 1 RBs 2/13; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 19.10.2012 – 1 Ss Bs 12/12, jew. zit. n. juris). Liegt ein standardisiertes Messverfahren dem Bußgeldbescheid zu Grunde, so obliegt es dem Betr., konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände zu einem Messfehler vorzutragen. Hierzu bedarf es zunächst neben dem Einsichtsrecht in das Messprotokoll und den Eichschein des Messgeräts auch der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung sowie in die erforderlichen Fotos, beim Gerät ES 3.0 also das Messfoto und das sog. Fotolinienbild. Darüber hinaus muss dem Betr. auf sein Verlangen hin aber auch die bei der Messung erstellte Messdatei zugänglich gemacht werden, um ihm – unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen – die Möglichkeit zu geben, eventuelle Messfehler zu entdecken und im Verfahren substantiiert behaupten zu können. Würde man – wie hier die Verwaltungsbehörde – dem Betr. dieses Einsichtsrecht unter Hinweis darauf versagen, dass die Daten vom Gerätehersteller verschlüsselt werden und nur durch diesen in unverschlüsselter Form zur Verfügung gestellt werden können, würde der Betr. in seinen Verfahrensrechten unzulässig eingeschränkt.

Ein zentrales Anliegen eines rechtsstaatlich geordneten Bußgeldverfahrens ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts als der notwendigen Grundlage eines gerechten Urteils. Ausgestaltungen des Verfahrens, welche die Ermittlung der Wahrheit zu Lasten des Betr. behindern, können daher seinen Anspruch auf ein faires Verfahren verletzen. Ferner sichert dieser Anspruch dem Betr., der nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein darf, den erforderlichen Bestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen, damit er zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen kann (so für das Strafverfahren: BVerfGE 46, 202, 210; 63, 45, 61). Hiergegen würde aber verstoßen, wenn dem Betr. die Möglichkeit versagt würde, gerade die Daten, auf denen der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit beruht, nicht prüfen (lassen) zu können.

Der Betr. kann diesbezüglich auch nicht auf die Möglichkeit des Einspruchs und das anschließende gerichtliche Verfahren verwiesen werden. Wie bereits vorstehend ausgeführt kommt eine Beweiserhebung regelmäßig nur in Betracht, wenn der Betr. konkrete Umstände zu einem Messfehler vorträgt. Kennt er die Rohdaten nicht bzw. kann diese nicht unverschlüsselt auslesen, so wird ihm diese Möglichkeit zumindest teilweise genommen. Ein Beweisantrag des Betr. wäre dann durch das Gericht als “ins Blaue hinein gestellt‘ möglicherweise abzulehnen.

Die Verwaltungsbehörde kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass die Daten durch den Hersteller verschlüsselt werden und derzeit lediglich dieser zur Entschlüsselung in der Lage ist. Wie durch das Urteil des OLG Naumburg v. 27.8.2014 (DAR 2015, 27–29) eindeutig festgestellt wurde, steht die Befugnis, über die Messdaten zu verfügen, der Behörde zu, die diese Daten erzeugt und abgespeichert hat. Es ist insoweit Sache der Verwaltungsbehörde, die Rohdaten in unverschlüsselter Form zu beschaffen und dem Betr. auf sein Verlangen hin zur Verfügung zu stellen. Genauso wenig kann der Betr. darauf verwiesen werden, die unverschlüsselten Rohdaten unmittelbar bei der Fa. ESO GmbH abzufordern, denn diese wäre zu einer Herausgabe an den Betr....

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