BKatV § 4
Leitsatz
1. Ein im nahen örtlichen Zusammenhang mit dem Ortsschild aufgestelltes Verkehrsschild, durch welches die zulässige Geschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt wird, kann leicht übersehen werden.
2. Bei Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots wegen Augenblicksversagens ist keine Erhöhung der Regelgeldbuße angezeigt.
OLG Naumburg, Beschl. v. 5.11.2015 – 2 Ws 213/15
Sachverhalt
Das AG hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb einer geschlossenen Ortschaft um 35 km/h die Regelgeldbuße von 160 EUR verhängt, indes von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen, weil der Betroffene, der seinen Pkw mit einer Geschwindigkeit von 65 km/h führte, das Schild, durch welches eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h angeordnet wurde, lediglich übersehen habe, hierin liege eine "normale Fahrlässigkeit". Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft begehrt die Verhängung eines Fahrverbots. Davon abgesehen hätte beim Absehen vom Fahrverbot das Regelbußgeld angemessen erhöht werden müssen. Zudem ergebe sich aus den Feststellungen des AG nicht, ob die Messstelle bzw. die Überwachungsstrecke nicht aufgrund der örtlichen Gegebenheiten als Unfallbrennpunkt bzw. Unfallgefahrenpunkt erkennbar sei, weshalb sich für den Betroffenen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h aufgedrängt hätte. Das OLG Naumburg hat die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
" … Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das AG ist mit nicht zu beanstandender Begründung davon ausgegangen, dass der Betroffene das Verkehrszeichen, durch welches eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h angeordnet wurde, schlicht übersehen hat, was in diesem Fall auf einem Augenblicksverfahren beruhe. Dies sei lediglich eine momentane Unaufmerksamkeit und keine grobe Pflichtwidrigkeit, die die Verhängung eines Fahrverbotes rechtfertigen könne."
Die Wertung des AG ist nicht zu beanstanden. Ein im nahen örtlichen Zusammenhang mit dem Ortsschild aufgestelltes Verkehrsschild, durch welches die zulässige Geschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt wird, kann leicht übersehen werden. Es bedurfte hier entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft auch nicht, wie im Regelfall beim Absehen von einem Fahrverbot wegen Übersehens einer Geschwindigkeitsbegrenzung, keiner Ausführungen dahingehend, ob sich aufgrund der örtlichen Gegebenheiten für den Betroffenen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h aufdrängen musste. Aus dem Urt. ergibt sich nämlich, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht wegen der örtlichen Gegebenheiten des Straßenabschnitts angeordnet worden war, sondern allein aufgrund der Tatsache, dass der Straßenabschnitt von Ortskundigen wegen einer Teilsperrung anstelle einer ausgeschilderten weiträumigen Umleitung genutzt wurde, also vorübergehend das Verkehrsaufkommen erhöht war. Deswegen bestand die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h auch nur für gut einen Monat. Deshalb gab es offensichtlich keine für den Betroffenen wahrnehmbare Umstände, aufgrund derer sich die Begrenzung auf 30 km/h aufdrängte.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war hier trotz des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots auch keine Erhöhung der Regelgeldbuße angezeigt, weil eine solche bei Augenblicksversagen nicht in Betracht kommt (vgl. Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 3. Aufl., Rn 50, S. 303, zu § 6).“
3 Anmerkung:
Eine kurze, aber wichtige Entscheidung. Zum einen wird schön klargestellt, dass die tatrichterlichen Feststellungen nicht mit nur allgemeinen Erwägungen angreifbar sind, sondern auch die Staatsanwaltschaft hier konkrete Fehler aufzeigen muss. Des Weiteren hat das OLG Naumburg – leider nicht verallgemeinernd – betont, dass bei Wegfall des Fahrverbots auf der Rechtsfolgenseite, hier wegen Augenblicksversagens, eben keine Anwendung des § 4 Abs. 4 BKatV mehr erfolgen kann. Gegenteilige Entscheidungen (z.B. OLG Celle zfs 2015, 413) sind dogmatisch falsch, und vom Verteidiger ist bei entsprechenden Ansätzen des Tatgerichts unbedingt auf die richtige Rechtslage hinzuweisen. Gewünscht hätte ich mir ein noch intensiveres Eingehen auf das Problem des Augenblicksversagens, denn gerade bei Geschwindigkeitsverstößen ist der Maßstab hier mitunter deutlich strenger als dies etwa bei Rotlichtverstößen gehandhabt wird (vgl. Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 3. Aufl., S. 295 ff.).
RiAG Dr. Benjamin Krenberger
zfs 10/2016, S. 594 - 595