Die berühmten zwei Minuten Unterschied zwischen zwei Taten haben schon einmal zur Annahme eines Verfahrenshindernisses in zwei getrennt voneinander betriebenen Verfahren geführt (OLG Celle, Beschl. v. 7.2.2011 – 322 SsBs 354/10, jurisPR-VerkR 18/2011 Anm. 5). Dort wurde sogar die Feststellung der "zwei Minuten" durch das Rechtsbeschwerdegericht in dubio pro reo auf 62 Sekunden heruntergerechnet, um der natürlichen Handlungseinheit noch mehr Schützenhilfe zu geben.
Um in der eigenen Mandatssituation die richtigen Prüfungsschritte vorzunehmen, muss zunächst vom Begriff der Tat des Art. 103 Abs. 3 GG ausgegangen werden (BayObLG, Beschl. v. 30.5.1974 – RReg 6 St 557/74 OWi, BayObLGSt 1974, 58 f.; BayObLG, Beschl. v. 26.10.2001 – 2 ObOWi 407/01, BayObLGSt 2001, 134 f.; OLG Hamm, Beschl. v. 9.6.2009 – 5 Ss OWi 297/09, zfs 2009, 651). In Tatmehrheit zueinander stehende Taten sind dann als eine Tat i.S.d. § 264 StPO anzusehen, wenn die einzelnen Handlungen nach dem Ereignisablauf zeitlich, räumlich und innerlich so miteinander verknüpft sind, dass sich ihre getrennte Würdigung und Ahndung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges darstellen würde (BVerfG, Beschl. v. 7.9.1977 – 2 BvR 674/77, BVerfGE 45, 434 f.; BGH, Urt. v. 5.11.1969 – 4 StR 519/68, BGHSt 23, 141 f.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.3.1984 – 5 Ss (OWi) 84/84 – 71/84 I, VRS 67, 129, 130). Eine einzige Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit und damit auch im prozessualen Sinne nach § 264 StPO kann ausnahmsweise dann vorliegen, wenn die einzelnen – auch unterschiedlichen – Verkehrsverstöße einen derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang aufweisen, dass sich der Lebensvorgang als solcher bei natürlicher Betrachtung auch für einen unbeteiligten Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt (OLG Hamm, Beschl. v. 15.8.2006 – 2 Ss OWi 455/06, VRS 111, 366 f.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 30.5.2005 – 1 Ss (OWi) 87B/05, NZV 2006, 109; BayObLG, Beschl. v. 29.5.1995 – 2 ObOWi 231/95, NZV 1995, 407; OLG Köln, Beschl. v. 1.3.1994 – Ss 15/94 (B) 13 B, NZV 1994, 292; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.2.2001 – 2a Ss (OWi) 284/00 – (OWi) 4/01 II, NZV 2001, 273).
Neben der rechtlichen Argumentation sind natürlich auch entsprechende Beschreibungen bzw. Beweisanträge des Verteidigers notwendig, um v.a. die örtlichen Zusammenhänge zu dokumentieren. Hier bietet sich ein Ortstermin an, etwa bezüglich der Verkehrsumstände, der typischen Verkehrslage, der zeitlichen und räumlichen Abstände etc. Auch die bereits erwähnte Anwendung des Zweifelsgrundsatzes bei der Feststellung der zeitlichen Unterschiede birgt Argumentationsmaterial für den Verteidiger.
RiAG Dr. Benjamin Krenberger
zfs 10/2016, S. 592 - 594