BGB § 843
Leitsatz
Im Rahmen der Zuerkennung eines Haushaltsführungsschadens ist es nicht gerechtfertigt, diesen auf das 75. Lebensjahr zu begrenzen.
OLG Koblenz, Urt. v. 18.4.2016 – 12 U 996/15
Sachverhalt
Bei der Zuerkennung eines Haushaltsführungsschadens wurde die Leistungspflicht des Schädigers auf die Vollendung des 75. Lebensjahres der Geschädigten begrenzt. Die gegen diese Begrenzung der Bezugsdauer der Rente gerichtete Berufung der Geschädigten hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … Nach der Überzeugung des Senats ist es im Rahmen der Zuerkennung eines Haushaltsführungsschadens nicht gerechtfertigt, diesen auf das 75. Lebensjahr zu begrenzen. Angesichts der als allgemein bekannt zu unterstellenden Tatsache, dass die Lebenserwartung der Bevölkerung und deren Selbständigkeit im Alter fortgehend steigt (entsprechende statistische Nachweise unter anderem; Gräfenstein/Deller, zfs 2014, 69), muss nach der Überzeugung des Senats davon ausgegangen werden, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Kl. ohne das Schadensereignis wie die weit überwiegende Zahl der Bevölkerung den Haushalt auch nach dem 75. Lebensjahr noch selbständig führen wird. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn ganz konkret in der Person der Kl. Umstände erkennbar wären, die dazu führen würden, die überwiegende Wahrscheinlichkeit dieses Verlaufs in Zweifel zu ziehen. Solche Umstände sind aber weder von der Beklagtenseite vorgetragen worden, noch für den Senat ersichtlich."
Der Kl. war damit die Rente “unbefristet‘ zuzuerkennen. … “
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Rafael Pinhas, Alzey
3 Anmerkung:
Zur Bemessung des Haushaltsführungsschadens vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 23.12.2015 – 12 U 16/14 (zfs 2016, 497).
1. Unter Anführung älterer Rspr. (OLG Celle zfs 1983, 291; OLG Frankfurt zfs 1982, 363; OLG Hamm NJW-RR 1995, 599; OLG Zweibrücken VersR 1978, 356) kam Jahnke zu der Schlussfolgerung, in der Rspr. bestehe die gefestigte Tendenz, das Ende des Haushaltsführungsschadens mit dem 75. Lebensjahr anzunehmen (Jahnke, Der Verdienstausfall im Schadensersatzrecht, 4. Aufl. 2024, § 8 Rn 139 m.w.N.).
2. Die neuere Rspr. folgt dieser apodiktischen Grenzziehung nicht. Zunächst wird das Abstellen auf das 75. Lebensjahr nicht mehr als unbezweifelbares Dogma angesehen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.9.2006 – 1 W 53/06). Dass Geschädigte mit der Vollendung des 75. Lebensjahres im Regelfall unfallfremd nicht mehr in der Lage sind, den Haushalt ohne Unterstützung zu führen, ist eine statistische Aussage, die mit Alltagswissen nicht verlässlich begründet werden kann.
Gegen sie spricht, dass bei gestiegener Lebenserwartung und dem geänderten Lebenskonzept der in Frage stehenden Altersgruppen das Bestreben, Eigenständigkeit auch bei der Betreuung des eigenen Haushalts zu wahren, bereits diese Umstände gegen eine strikte Grenzziehung bzgl. des Endes des Haushaltsführungsschadens sprechen (vgl. eingehend Schah Sedi/Schah Sedi, Das verkehrsrechtliche Mandat, Bd. 5, Personenschaden, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn 213 ff.). Das hat den Verkehrsgerichtstag bewogen, für die Schätzung des Haushaltsführungsschadens, besonders bei einer Kapitalisierung der Renten, kein Höchstalter anzunehmen (Empfehlung des 48. Deutschen Verkehrsgerichtstages 2010, Arbeitskreis IV, 2010, S. XIII). Gegen eine Befristung des Haushaltsführungsschadens hat sich auch das OLG Rostock aus diesen Gründen ausgesprochen (zfs 2003, 235). Plausibel und ohne Einzelfallprüfung der anzunehmenden Laufzeit ist der Vorschlag von Hillmann/Schneider, Das verkehrsrechtliche Mandat, Bd. 2 – Verkehrszivilrecht, 7. Aufl. 2016, § 9 Rn 541, den Haushaltsführungsschaden auf die statistische Lebenserwartung minus 2 Jahre zu begrenzen (zustimmend Schah Sedi/Schah Sedi, a.a.O. § 3 Rn 216).
Da die Betreuungsmöglichkeit eines Haushalts eine Einzelfallfrage ist, sind statistische Betrachtungen ohnehin mit hohen Fehlerquellen behaftet, die sowohl zu allzu optimistischen wie auch zu pessimistischen Voraussagen führen können, wann aus unfallfremden Gründen voraussichtlich im konkreten Fall die Unfähigkeit zur Betreuung des eigenen Haushalts eingetreten wäre. Da die Auswertung demografischer Daten die Beurteilung trägt, dass ein Geschädigter ohne das Schadensereignis den Haushalt auch nach dem 75. Lebensjahr selbstständig geführt hätte, kann auf eine Einzelfallbetrachtung verzichtet werden. Nur dann, wenn der hierfür darlegungs- und beweispflichtige Schädiger die überwiegende Möglichkeit für eine früher eintretende unfallunabhängige Unfähigkeit der Haushaltsführung nachweist, kann auf einen festen Zeitpunkt für die Beendigung der Leistungspflicht des Schädigers abgestellt werden (vgl. Gräfenstein/Deller, zfs 2014, 65).
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 10/2016, S. 558 - 559