Richtlinie 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1 Art. 7; FeV § 28 Abs. 5 § 29 Abs. 4
Leitsatz
1. Wird ein in Spanien erworbener Führerschein der Klassen A und B in Deutschland wegen einer Trunkenheitsfahrt entzogen, so führt eine spätere Erneuerung dieses Führerscheins in Spanien nicht dazu, dass Deutschland nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG verpflichtet wäre, die Inlandsfahrberechtigung ohne jede Formalität (wieder) anzuerkennen; die Erneuerung ist insoweit einer (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis nicht gleichzustellen. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass nach spanischem Recht Führerscheine eine mit zunehmendem Lebensalter des Inhabers kürzer werdende Gültigkeitsdauer aufweisen und die Erneuerung des Führerscheins vom Bestehen eines Gesundheitstests abhängig gemacht wird.
2. Angesichts des von der Richtlinie 2006/126/EG verfolgten Gemeinwohlziels, die Verkehrssicherheit zu erhöhen (vgl. zweiter Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/126/EG), und der mit dem Alkoholgenuss verbundenen großen Gefahr für die Sicherheit im Straßenverkehr, die auf medizinischer Ebene große Wachsamkeit gebietet (vgl. Nr. 14 des Anhangs III der Richtlinie 2006/126/EG), ist es unter Berücksichtigung der zehnjährigen Tilgungsfrist für eine strafrechtlich geahndete Trunkenheitsfahrt grds. mit dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, wenn die Fahrerlaubnisbehörde die von dem Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat inzwischen erneuerten Führerscheins der Klassen A und B beantragte Wiedererteilung der Inlandsfahrberechtigung, die wegen einer früher begangenen Trunkenheitsfahrt aberkannt wurde, von der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig macht, um eine wieder gewonnene Fahreignung zu belegen.
VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27.6.2017 – 10 S 1716/15
Anmerkung
Hinweis: Der Kl., ein Deutscher, der sich seit 1992 überwiegend in Spanien aufhält, erwarb 1992 in Spanien eine Fahrerlaubnis der Klassen A und B. Diese Fahrerlaubnis wurde ihm 2009 vom AG K wegen einer Trunkenheitsfahrt mit 2,12 ‰ für das Inland entzogen. Nach Ablauf der vom AG verhängten Sperrfrist für eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis wurde der spanische Führerschein des Kl. in Spanien mehrmals erneuert. In Spanien sind Führerscheine – abhängig vom Lebensalter des Inhabers – zehn, fünf oder zwei Jahre gültig. Bei Ablauf der Gültigkeitsdauer wird der Führerschein dann erneuert, wenn ein vorgeschriebener Gesundheitstest bestanden worden ist.
Das VG Karlsruhe hat die Klage auf Wiedererteilung des Rechts, von seiner spanischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen und auf Aufhebung des Ablehnungsbescheids der Bekl. mit Urt. v. 16.7.2015 – 3 K 2337/14 (SVR 2015, 475) abgewiesen. Der VGH BW hat die hiergegen eingelegte Berufung des Kl. zurückgewiesen. Zur Begründung führt der VGH BW unter anderem aus, dass unionsrechtlich ein von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein nur dann "ohne jede Formalität" von Deutschland anzuerkennen sei, wenn der ausstellende Mitgliedstaat unionsrechtlich verpflichtet gewesen sei, sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis zu prüfen. Dies sei aber nicht der Fall, wenn ein Führerschein der Klassen A und B bei Ablauf der Gültigkeit erneuert werde. Vielmehr könne jeder Mitgliedstaat selbst entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfang er die Erneuerung eines Führerscheins von bestimmten Tests oder Kursen abhängig mache. Die bloße Erneuerung eines Führerscheins tauge daher – anders als das bei einer Neuerteilung der Fall ist – nicht als Beweis dafür, dass sein Inhaber – nach der Fahrerlaubnisentziehung – seine Fahreignung wieder erlangt habe. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache wurde die Revision zum BVerwG zugelassen.
Aus der Pressemitteilung des VGH BW v. 14.7.2017
zfs 10/2017, S. 598 - 599