StPO § 359 Nr. 4; StVG § 21 Abs. 1; FeV § 3 § 46
Leitsatz
Ein Wiederaufnahmegrund gem. § 359 Nr. 4 StPO in entsprechender Anwendung liegt vor, wenn eine spätere verwaltungsgerichtliche Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes (hier: Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde), der die Strafbarkeit begründet hat, erfolgt ist, so dass die Strafbarkeit rückwirkend entfallen ist.
LG Berlin, Beschl. v. 22.12.2016 – 502 Qs 71/16
Sachverhalt
Mit Strafbefehl v. 10.3.2014 war der Beschwerdeführer wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt worden, da er ein Kfz im Straßenverkehr führte, obwohl ihm am 11.5.2010 die Fahrerlaubnis im Verwaltungsweg entzogen worden war. Nach erfolglosem Widerspruch und abweisendem erstinstanzlichen Urt. hob das OVG Berlin-Brandenburg mit rechtskräftigem Urt. v. 24.4.2014 den Entzug der Fahrerlaubnis des Beschwerdeführers auf. Dies teilte der Beschwerdeführer der StA mit am 12.5.2014 eingegangenem Schreiben mit, verwies dabei auf die Rspr. des BVerfG und vertrat die Ansicht, dass dadurch auch seine Strafbarkeit rückwirkend entfallen sei. Er bat abschließend darum, das Erforderliche zu veranlassen. Mit Beschl. v. 12.8.2015 hatte das AG den in diesem Schreiben gesehenen Antrag auf Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens als unzulässig verworfen, da er nicht das Formerfordernis des § 366 Abs. 2 StPO erfülle. Weiter liege kein Wiederaufnahmegrund gem. § 359 StPO vor, da sich aus dem Urt. des OVG Berlin-Brandenburg keine neuen, die Wiederaufnahme des Verfahrens begründenden Tatsachen ergeben würden.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers v. 9.6.2016 stellte der Beschwerdeführer ausdrücklich einen Wiederaufnahmeantrag und stützt diesen im Wesentlichen darauf, dass nun durch die rückwirkende Aufhebung des Fahrerlaubnisentzuges ein Wiederaufnahmegrund gem. § 359 Nr. 4 StPO bzw. § 359 Nr. 5 StPO gegeben sei. Das Amtsgericht hat diesen Antrag als unzulässig verworfen, u.a. da § 359 Abs. 1 Nr. 4 StPO nicht entsprechend auf Verwaltungsakte angewendet werden könne.
Auf die Beschwerde des Verurteilten hat das LG Berlin den Beschl. des AG aufgehoben, die Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet, den Strafbefehl v. 10.3.2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das AG zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
"II. Das Rechtsmittel ist zulässig, insb. am 18.10.2016 rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist nach Zustellung des Beschl. am 14.10.2016 erhoben. Auch in der Sache hat es Erfolg. Der Wiederaufnahmeantrag ist i.S.d. § 368 StPO zulässig und gem. § 370 StPO begründet."
Das Wiederaufnahmevorbringen, wonach die Strafbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG aufgrund der rückwirkenden Aufhebung der Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Urt. des OVG Berlin-Brandenburg entfiele, ist nicht aufgrund des Beschl. des AG Tiergarten v. 12.8.2015 verbraucht. Denn – wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt – stellte er in seinem Schreiben v. 10.5.2014 gerade keinen ausdrücklichen Wiederaufnahmeantrag. Es widerspräche aber dem Begünstigungsgrundsatz, aus diesem Schreiben einen solchen konkludent gestellten Antrag herzuleiten und ihn dann wegen Formmangels i.S.d. § 366 Abs. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen, weil er eben nicht vom Beschwerdeführer selbst durch ein einfaches Schreiben hätte gestellt werden können. Insoweit geht der vorangegangene Beschl. des AG Tiergarten ins Leere.
Zudem liegt hier ein Wiederaufnahmegrund gem. § 359 Nr. 4 StPO in entsprechender Anwendung vor. Danach ist die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urt. abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten zulässig, wenn ein zivilgerichtliches Urt., auf welches das Strafurt. gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urt. aufgehoben ist. Diese Vorschrift ist entsprechend auf die spätere verwaltungsgerichtliche Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, der die Strafbarkeit begründet hat, anzuwenden (vgl. BVerfGE 22, 21 = Beschl. v. 23.5.1967 – 2 BvR 534/62; OLG Frankfurt, BeckRS 9998, 111526; LR-Gössel, StPO, 26. Aufl. 2012, § 359 Rn 47; a.A. BGHSt 23, 86 = Beschl. v. 23.7.1969 – 4 StR 371/68; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 359 Rn 17). Die Argumentation des BGH, wonach dies nicht in Betracht komme, da die Strafbarkeit einer strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen einen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt auch dann gegeben sei, wenn dieser nachträglich durch ein Verwaltungsgericht mit ex-tunc-Wirkung als rechtwidrig aufgehoben werde, vermag nicht zu überzeugen. Danach müsse dem Betr. zugemutet werden, der Anordnung bei Gefahr der Bestrafung nachzukommen, auch wenn noch nicht feststehe, ob eine Zuwiderhandlung letztlich das sachliche Recht verletze, weil noch die Möglichkeit der Aufhebung des Verwaltungsaktes durch das Verwaltungsrecht bestehe (vgl. BGH, a.a.O.). Dies würden die berechtigten Bedürfnisse der staatlichen Ordnung gebieten, welche auch ein Anliegen der Allgemeinheit seien und denen sich jeder einsichtige Bür...