BGB § 845 Abs. 1 § 855 § 861 Abs. 1 § 985 § 986 Abs. 1
Leitsatz
1. Bei einem Werkvertrag ist der Besteller, der nach erfolgter Reparatur seines Kfz eine Probefahrt vornimmt, nicht Besitzdiener des Werkunternehmers.
2. Jedenfalls dann, wenn eine zur Vorbereitung der Abnahme eines reparierten Kfz durchgeführte Probefahrt des Bestellers in Anwesenheit des Werkunternehmers oder dessen Besitzdieners stattfindet, erlangt der Besteller keinen unmittelbaren Besitz an dem Fahrzeug. Vielmehr bleibt der Werkunternehmer unmittelbarer Besitzer; sein Besitz wird lediglich gelockert.
3. Die Übergabe eines Schlüssels bewirkt nur dann einen Übergang des Besitzes an der dazugehörigen Sache, wenn der Übergeber die tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat.
BGH, Urt. v. 17.3.2017 – V ZR 70/16
Sachverhalt
Die Kl. überließ als Eigentümerin eines Pkw P den Pkw zur dauerhaften Nutzung. Nach Auftreten eines Motorschadens beauftragte P den beklagten Inhaber einer Kfz-Reparaturwerkstatt mit dem Einbau eines gebrauchten Austauschmotors. Der Bekl. nahm den Austausch vor und händigte P den Wagen aus. Nachdem der Austauschmotor defekt wurde, baute der Bekl. im Zuge der Gewährleistung einen weiteren Austauschmotor ein. Ungeklärt ist, ob der Werklohn für die vorangegangene Reparatur bereits bezahlt war.
Nach der durchgeführten Reparatur trafen sich der Sohn des Bekl., der in dessen Werkstatt arbeitete, und P zu einer Probefahrt. P saß am Steuer. Nach der Beendigung der Probefahrt kam es zwischen dem Sohn des Bekl. und P zum Streit über die nach der Darstellung des Bekl. noch ausstehende Bezahlung der ersten Reparatur. Der Sohn des Bekl. zog gegen den Willen von P den Schlüssel aus dem Zündschloss, nahm ihn an sich und machte sich an dem Motor zu schaffen. Als P aus dem Wagen ausstieg, stieg der Sohn des Bekl. in das Fahrzeug ein und fuhr mit dem Fahrzeug davon. Der Pkw wurde auf das Betriebsgelände des Bekl. verbracht und der – zweite – Austauschmotor ausgebaut.
Mit der Klage macht der Kl. die Herausgabe des Fahrzeuges einschließlich des zweiten Austauschmotors, Schadensersatz für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der vom Gericht zur Erfüllung des Herausgabeanspruchs gesetzten Frist sowie die Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung für die Zeit der Vorenthaltung geltend. Das LG hat der Klage stattgegeben. Das BG hat den von ihm zuerkannten Herausgabeanspruch und den Schadensersatzanspruch auf den Pkw ohne Austauschmotor beschränkt. Den auf Zahlung der Nutzungsausfallentschädigung gerichteten Antrag hat das BG abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision will der Kl. erreichen, dass der Bekl. das Fahrzeug einschließlich des Austauschmotors herauszugeben hat und den Nutzungsausfall zu entschädigen hat.
Die Revision hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[6] "… II. 1. Rechtsfehlerfrei verneint das BG einen Anspruch der Kl. gegen den Bekl., der sich auf die Herausgabe des mit dem Austauschmotor versehenen Fahrzeugs richtet; infolgedessen steht ihr hinsichtlich des Motors auch kein Schadensersatz für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs zu."
[7] a) Zutreffend nimmt das BG an, dass sich der Herausgabeanspruch der Kl. gem. § 985 BGB nicht auf den Austauschmotor erstreckt, weil sie nicht dessen Eigentümerin ist. Eine Übereignung ist nicht erfolgt. Auch hat die Kl. das Eigentum nicht gem. § 947 Abs. 2 i.V.m. § 93 BGB durch den Einbau erlangt, weil ein in ein Gebrauchtfahrzeug eingebauter Austauschmotor nicht dessen wesentlicher Bestandteil ist (vgl. BGHZ 61, 80, 81 ff. = NJW 1973, 1454).
[8] b) Ein Herausgabeanspruch ergibt sich auch nicht aus § 861 BGB. Nach dieser Bestimmung kann der Besitzer, dem der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen wird, die Wiedereinräumung des Besitzes von demjenigen verlangen, der ihm gegenüber fehlerhaft besitzt; gem. § 869 S. 1 BGB steht der Anspruch auch dem mittelbaren Besitzer zu. Für das Revisionsverfahren ist von dem klägerischen Vorbringen zu dem Ablauf des Treffens am 14.3.2014 auszugehen. Die rechtliche Würdigung dieses Geschehens ergibt, dass der Sohn des Bekl. keine verbotene Eigenmacht verübt hat, weil P anlässlich der Probefahrt nicht unmittelbarer Besitzer des Fahrzeugs mit dem darin eingebauten Motor geworden ist.
[9] aa) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das BG davon aus, dass verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) nur gegen den unmittelbaren Besitzer verübt werden kann (vgl. BGH NJW 1977, 1818; RGRK/Kregel, BGB, 12. Aufl. 1979, § 858 Rn 2; Staudinger/Gutzeit, BGB Neubearb. 2012, § 858 Rn 7 m.w.N.).
[10] bb) Der unmittelbare Besitz an einer Sache wird gem. § 854 Abs. 1 BGB durch die tatsächliche Gewalt über die Sache erworben. In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung ab, also von der zusammenfassenden Wertung aller Umstände des jeweiligen Falls entsprechend den Anschauungen des täglichen Lebens (vgl. Senat NZM 2013, 204 = WM 2012, 1926 Rn 10 m.w.N.). Für die Besitzverhältnisse an einem Kfz kommt...