BB-BUZ § 1 § 2; VVG § 172 Abs. 1 und 2
Leitsatz
Für die Bemessung des Grades der Berufsunfähigkeit darf nicht nur auf den Zeitanteil einer einzelnen Tätigkeit abgestellt werden, die der VN nicht mehr ausüben kann, wenn diese untrennbarer Bestandteil eines beruflichen Gesamtvorgangs ist.
BGH, Urt. v. 19.7.2017 – IV ZR 535/15
Sachverhalt
Die Kl. macht Ansprüche aus einer bei der Bekl. unterhaltenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend. Nach § 1 Abs. 1 BB-BUZ erbringt die Bekl. Leistungen im Falle mindestens 50 %iger Berufsunfähigkeit. Nach § 2 Abs. 1 BB-BUZ liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen außer Stande ist, ihren Beruf, so wie er in gesunden Tagen ausgeübt worden ist, weiter auszuüben. In § 2 Abs. 2 BB-BUZ heißt es:
"Ist die versicherte Person sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande gewesen, ihren Beruf oder – nach Maßgabe von Abs. 1 – eine andere Tätigkeit auszuüben, so gilt dieser Zustand von Beginn an als Berufsunfähigkeit."
Bei Abschluss des Vertrags im Februar 2007 war die Kl. vollschichtig als angestellte Hauswirtschafterin in einer Münchener Anwaltskanzlei beschäftigt. Ihre Aufgaben bestanden im Wesentlichen darin, die Kanzleiräume zu putzen, Einkäufe zu erledigen und den Mittagstisch für ca. 15 bis 30 Personen zuzubereiten.
Am 20.3.2007 stürzte sie eine Treppe hinunter und war danach für längere Zeit krankgeschrieben. In der Folgezeit befand sie sich unter anderem aufgrund psychischer Probleme sowie Rücken- und Wirbelsäulenbeschwerden in ärztlicher Behandlung.
Die Kl. macht geltend, seit dem Treppensturz in ihrem Beruf zu mehr als 50 % berufsunfähig zu sein. Aufgrund ihrer erheblichen Rückenbeschwerden könne sie nicht mehr putzen, keine schweren Einkäufe mehr tragen und auch nicht mehr mehrere Stunden täglich in der Küche arbeiten. Sie leide unter anderem an einer somatoformen Schmerzstörung bzw. einem chronischen Schmerzsyndrom und könne infolgedessen lediglich drei Stunden am Tag als Haushaltshilfe (leichte Helfertätigkeit) arbeiten. Seit 2011 ist sie in einem Privathaushalt tätig.
2 Aus den Gründen:
[14] "… 1. Das BG hat bei seiner Befassung mit dem unfallchirurgisch-orthopädischen Gutachten des SV M einen unzutreffenden, von der Senatsrechtsprechung abweichenden Maßstab zugrunde gelegt."
[15] a) Dieser SV hat zunächst in seinem schriftlichen Gutachten angenommen, dass bei der Kl. ein HWS- und LWS-Syndrom vorliege, die daraus resultierenden Funktionseinschränkungen aber nur mit 20 % zu bewerten seien. Er hat dies damit begründet, dass längerfristige Arbeiten mit gebeugtem Oberkörper und ähnlichen Zwangshaltungen nicht möglich seien, diese Tätigkeiten aber nur einen geringen Zeitraum im beschriebenen Tätigkeitsprofil einnähmen.
[16] Bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Berufungssenat hat er sodann – befragt zu den konkreten Auswirkungen auf die Tätigkeit der Kl. – weiter ausgeführt, dass Einschränkungen beim Heben schwerer Lasten, d.h. von mehr als 5 bis 10 kg bestehen, und dass er bei der Höhe der Einschränkung von 20 % zugrunde gelegt habe, dass das Einkaufen im Allgemeinen weniger Zeit in Anspruch nehme als Kochen und Putzen; eine genauere Berechnung wäre bei näheren Angaben der genauen Stundenzahl möglich. Auf die anschließende Schilderung des konkreten Ablaufs des wöchentlichen Großeinkaufs durch die Kl. hat er daran festgehalten, dass diese Beanspruchung in seiner Bewertung berücksichtigt sei, weil die Frage der von der Kl. genannten Gewichte zwar nicht zu vernachlässigen sei und das Treppensteigen mit Gewichten von über 10 kg ein Problem darstellen könne, es sich aber nicht um eine sechsstündige Dauerbelastung handele. Auch bei seiner Anhörung vor dem LG hatte er bereits erklärt, dass der Vorgang des Transportierens schwerer Lasten zeitlich nicht so ausgedehnt sein werde, dass von den 20 % abzuweichen sei.
[17] b) Das BG ist dieser Bewertung des SV gefolgt ohne zu beachten, dass die Beeinträchtigung der Kl. in der Ausübung ihres zuletzt ausgeübten Berufs nicht allein anhand der zeitlichen Anteile der von ihr isoliert nicht mehr zu bewältigenden Tätigkeiten bemessen werden kann.
[18] aa) Für die Bemessung des Grades der Berufsunfähigkeit darf nicht nur auf den Zeitanteil einer einzelnen Tätigkeit abgestellt werden, die der VN nicht mehr ausüben kann (hier: Tragen schwerer Lasten), wenn es sich hierbei nicht um eine abtrennbare Einzelverrichtung handelt, sondern diese untrennbarer Bestandteil eines beruflichen Gesamtvorgangs ist (vgl. Senat VersR 2011, 552 Rn 13 … ).
[19] bb) So liegt es nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt hier. Ein wesentlicher Bestandteil der von der Kl. konkret ausgeübten Berufstätigkeit, wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war (vgl. zu diesem Maßstab Senat VersR 2017, 216 Rn 23), war neben Reinigungsarbeiten und einigen weiteren untergeordnete...