VVG § 186; AUB 96 § 7 I (1)
Leitsatz
1. Die in einem ärztlichen Attest enthaltene Angabe der Chronifizierung eines Schmerzbildes enthält keine Feststellung der Invalidität.
2. Die fehlerhafte Bezeichnung der Rechtsfolge einer Versäumung der Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität macht die Belehrung über die Frist nicht unwirksam.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Saarbrücken, Urt. v. 27.4.2016 – 5 U 36/15
Sachverhalt
Die Kl. macht wegen der behaupteten Folgen eines Unfallereignisses v. 30.12.2009, bei dem sie von einer Treppe gestürzt und auf das Gesäß gefallen sein will, Invaliditätsleistungen geltend. Nach Meldung des Unfallgeschehens übersandte die Bekl. ihr eine Schadenanzeige und wies die Kl. dabei näher auf die Voraussetzungen von Leistungsansprüchen hin; insb. machte sie darauf aufmerksam, dass die Fristen zur ärztlichen Feststellung und Geltendmachung von Invalidität "Ausschlussfristen" seien, bei deren Versäumung ein Anspruch auf eine Invaliditätsentschädigung entfalle. In Arztbriefen des Jahres 2010 war ein "multilokulares, multifaktorielles Schmerzsyndrom im Chronifizierungsstadium III nach Gerbershagen" attestiert. Die Bekl. lehnte Leistungen ab, weil eine fristgemäße ärztliche Feststellung fehle, die behaupteten gesundheitlichen Einbußen nicht unfallbedingt seien und auf psychischen Reaktionen beruhten.
2 Aus den Gründen:
"… a) Nach § 7 I. (1) AUB 96 genügt das Vorliegen einer durch den Unfall verursachten dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit für sich allein nicht. Für den Anspruch auf Invaliditätsleistung bedarf es vielmehr zusätzlich der Beachtung bestimmter Fristen. So muss die Invalidität binnen eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt worden sein. Das dient dem berechtigten Interesse des VR an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht und führt selbst dann zum Ausschluss von Spätschäden, wenn den VN an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden trifft. Denn das Erfordernis fristgerechter Feststellung der Invalidität ist eine Anspruchsvoraussetzung, deren Nichtvorliegen nicht entschuldigt werden kann. Auch eine Leistungsablehnung des VR, die hier bereits vor der Geltendmachung von Invaliditätsansprüchen … erfolgt ist, ändert nichts daran, dass der Anspruch des VN nicht entsteht, wenn die Invalidität nicht fristgerecht ärztlich festgestellt worden ist (vgl. BGH zfs 2007, 400 …). Allerdings sind an die Feststellung der Invalidität keine hohen Anforderungen zu stellen. Diese muss sich nicht abschließend zu einem bestimmten Invaliditätsgrad äußern. Die Feststellung der Unfallbedingtheit braucht nicht einmal richtig zu sein und dem VR auch nicht innerhalb der Frist zuzugehen, sofern sie nur fristgerecht getroffen worden ist. … In dieser Auslegung ist die Fristenregelung AGB-rechtlich weder unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit noch unter demjenigen der Transparenz bedenklich (vgl. BGH zfs 2012, 581)."
Aus der Invaliditätsfeststellung müssen sich aber die ärztlicherseits dafür angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen ergeben (BGH zfs 2007, 400). Die erforderliche Prognose, die bei der Befunderhebung ärztlich festgestellte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit werde eine dauernde sein, setzt eine von ärztlicher Sachkunde und Erfahrung getragene Beurteilung voraus, ob und in welchem Umfang bestimmte Gesundheitsschädigungen auf das Unfallereignis zurückzuführen sind und ob die Gesundheitsschädigungen die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit auf Dauer mindern. Nur auf diese Weise kann die Invaliditätsfeststellung dem VR Gelegenheit geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen und kann sie Grundlage für dessen Prüfung seiner Leistungspflicht sein. Zugleich ermöglicht sie diesem eine Ausgrenzung von in der Regel nur schwer abgrenzbaren und überschaubaren Spätschäden, die er vom Versicherungsschutz ausnehmen will (vgl. BGH VersR 2015, 150 …).
Aus diesen Gründen genügt eine bloße Befunderhebung – mangels nachvollziehbarer ärztlicher Bewertung – den Anforderungen an eine ärztliche Invaliditätsfeststellung grds. nicht. … Befunde können nur ausnahmsweise dann als ärztliche Feststellung gelten, wenn sie so eindeutig sind, dass sie für sich selbst sprechen, weil aus ihnen zwingend – etwa beim Vorliegen evident einer Besserung nicht mehr zugänglicher Schäden wie einer Querschnittslähmung – auf eine dauernde Beeinträchtigung geschlossen werden muss. …
b) Nach diesen Maßstäben fehlt es im Streitfall an einer fristgemäßen ärztlichen Feststellung.
Die 15-Monatsfrist lief am 30.3.2011 ab. Keine der bis zu diesem Zeitpunkt erstellten ärztlichen Bescheinigungen und Berichte enthält Angaben, die mit hinreichender Sicherheit den Schluss zuließen, dass die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der Kl. durch den Treppensturz vom 30.12.2009 dauerhaft – also voraussichtlich länger als drei Jahre und ohne dass eine Änderung dieses Zustandes erwartet werden könnte, § 180 VVG – einges...