Das Dashcam-Urteil des BGH und seine praktische Folgen
Das Urteil des BGH vom 15.5.2018 trifft auf ein hohes Interesse, weniger für die ostasiatischen Hersteller von Dashcams, die sich eher wenig für europäisches Datenschutzrecht interessieren, als für Kfz-Versicherer, Anwälte und Richter.
In geradezu lehrbuchmäßiger Art und Weise behandelt der BGH dabei die Vorfrage, ob bzw. wann eine dashcam gegen das BDSG bzw. nunmehr die DSGVO, dort insb. Art. 6 Abs. 1 lit. f als Rechtsgrundlage, verstößt und sodann die Anschlussfrage einer zivilprozessualen Verwertbarkeit einer unter Verstoß gegen die Datenschutzbestimmungen erlangten Dashcam-Aufnahme.
1. Gegenstand dieses Beitrags ist weniger eine datenschutzrechtliche Bewertung der Auffassung des BGH. Hierzu liegen neben der Fülle von Urteilen der Untergerichte eine Reihe von Beiträgen aus dem Schrifttum vor (vgl. z.B. Ahrens NJW 2018, 2837; Kemperdiek zfs 2018, S. 368; Prütting RAW 2018, 15; Froitzheim NZV 2018, 109; Radke, jM 2018; Nugel zfs 2016, 428; Richter SVR 2016, 15; Kunkel/Kunkel, in: jurisPR-Compl 4/2018 Anm. 4; Quiel, Beitrag vom 6.8.2018 im ZPO-Blog des Richters Windau, www.zpoblog.de). Zusammenfassend wird man sagen können, dass bei Einhaltung strikter technischer Vorgaben der Einsatz einer Dashcam bereits datenschutzrechtlich zulässig ist. Die Frage eines Beweisverwertungsverbotes oder einer Ordnungswidrigkeit stellt sich dann nicht.
Die der Entscheidung des BGH zugrundeliegende Dashcam entsprach diesen Vorgaben nicht. Diese hatte eine Aufnahmedauer von vier Stunden. Der BGH hat durchaus Hinweise zu einer datenschutzkonformen Dashcam erteilt, wenn er in Rn 25 ausführt:
"Beide Erlaubnissätze verlangen die Erforderlichkeit der Datenerhebung i.S.e. zumutbaren mildesten Mittels (…); denn es ist technisch möglich, die dauerhafte Aufzeichnung zu vermeiden und lediglich eine kurzzeitige anlassbezogene Speicherung im Zusammenhang mit einem Unfallgeschehen vorzunehmen (vgl. zu den technischen Möglichkeiten VGH Wien, Urt. v. 12.9.2016 – Ro 2015/04/0011-7, MuR 2016, 261;" Hofmann DSRITB 2016, 61, 66 f.). Dass die vorhandenen technischen Möglichkeiten, die Persönlichkeitsrechte Dritter zu schützen (“Privacy by design'), hier nicht genutzt wurden, führt dazu, dass die schutzwürdigen Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer mit ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Streitfall die genannten Interessen des Kl. überwiegen.“
Bei dem vom BGH genannten Urteil des VGH Wien vom 12.9.2016 – wobei dieser einen strengeren Maßstab als der BGH anlegte – erstattete der dortige Kl. bei der Datenschutzbehörde die Meldung einer Datenanwendung mit der Bezeichnung "Beweissicherung bei Verkehrsunfällen". Danach sollte die Datenanwendung automationsunterstützt erfolgen und die Verwendung von strafrechtlich relevanten Daten beinhalten. Laut Beschreibung der Datenanwendung würden mittels Kamera erfasste Bilddaten auf einem "Zwischenspeicher" für 60 Sekunden gespeichert und nur im "Anlassfall" auf eine Speicherkarte übertragen werden. Eine Entschlüsselung der Daten würde ausschließlich bei Einleitung von behördlichen Ermittlungen, im Zusammenhang mit einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren bzw. zur Klärung einer Versicherungsangelegenheit erfolgen.
Einige Hersteller haben bereits angekündigt, ihre Sofware anzupassen und ein "Datenschutzupdate" der von ihr vertriebenen Dashcams vorzunehmen.
Es dürften folgende Möglichkeit einer datenschutzkonformen Nutzung durch das DSGVO-Prinzip "Privacy by design" bestehen:
1.1. Der Fahrzeugführer aktiviert manuell die Dashcam, wenn er bereits einen konkreten "Anfangsverdacht" hat. Dies ist jedoch lebensfremd, da in aller Regel die zur Verfügung stehende Zeit für eine Abwägung und Aktivierung der Dashcam zu gering ist. Zudem besteht die Gefahr, dadurch eine punktebewerte Ordnungswidrigkeit gem. § 23 Abs. 1a StVO zu begehen. Der vom BGH zitierte VGH Wien dürfte dies gleichfalls kritisch sehen. Dem VGH reichte nicht aus, dass die Dashcam dort durch einen "SOS-Button" ausgelöst wird, da dieser jederzeit und ohne Einschränkungen vom Fahrer betätigt werden kann.
1.2. Unproblematisch ist hingegen die Verknüpfung einer Dashcam mit der Fahrzeugsensorik (wie z.B. Einleitung eines scharfen Bremsvorganges, Fahrzeugstabilitätsprogramm wie ESP, Scharfschaltung des Airbags vor dem Unfall o.a.) oder der eigenen Sensorik der Dashcam (üblicherweise mittels Beschleunigungssensoren) mit der Folge, dass die Dashcam nur bei bestimmten gefahrgeneigten Situationen automatisch aktiviert wird. Allerdings ist die Aktivierung der Kamera durch deren eingebauten Beschleunigungssensor problematisch, wenn nach der "offiziellen" Aktivierung durch den Beschleunigungssensor der Dashcam diese sich aus einem internen Speicher eine gewisse Zeitspanne vor der Aktivierung vergangene Daten "zurückholt", da dies voraussetzt, dass die Kamera die Zeit vorher "inoffiziell" mitgelaufen sein muss. Wenn diese "zurückgeholten" Daten sich allerdings nur in einem "Zwischenspeicher" (Puffer) für einen...