Sind Eintragungen im Fahreignungsregister zu dem in § 4 Abs. 5 S. 5 StVG bezeichneten Zeitpunkt noch nicht gelöscht, weil ihre Tilgungsfrist oder die Überliegefrist nach § 29 Abs. 6 StVG noch nicht abgelaufen ist, sind sie von der Fahrerlaubnisbehörde bei der Berechnung des nach § 4 Abs. 5 S. 4 StVG maßgeblichen Punktestandes zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn nach diesem Zeitpunkt Eintragungen im Zeitraum bis zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde noch gelöscht werden. Das in § 29 Abs. 7 S. 1 StVG angeordnete Verwertungsverbot wird durch § 4 Abs. 5 S. 5 StVG kraft Spezialität verdrängt. § 29 Abs. 7 S. 1 StVG ändert nichts an dem von § 4 Abs. 5 S. 5 StVG bestimmten Zeitpunkt.
Eine obergerichtliche Entscheidung zu der Problematik gibt es noch nicht. Aus Sicht der Praxis erscheint die Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des OVG Lüneburg vorzugswürdig.
Hierfür spricht folgende Überlegung:
Nach den Gesetzesmaterialien (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für ein Viertes Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drucks 17/12636, S. 19 f., unter Buchst. e) hat der Gesetzgeber für Löschungen von Eintragungen eine andere Entscheidung getroffen als für die Berechnung des Punktestandes nach dem Tattagsprinzip.
Der Gesetzgeber hat in der Löschung einer Eintragung ein absolutes Hindernis für deren Verwertung gesehen, welches auch durch die in § 4 Abs. 5 S. 5 StVG vorgegebene rückschauende Ermittlung des Punktestandes nicht überwunden wird.
Denn würde allein die retrospektive Ermittlung des Punktestandes die Verwertung einer bereits gelöschten Eintragung rechtfertigen, so könnten Erhöhungen des Punktstandes auch dann berücksichtigt werden, wenn eine Eintragung bereits unmittelbar mit Eintritt ihrer Tilgungsreife gelöscht würde.
Die Berücksichtigung wäre nicht – wie in der Gesetzesbegründung vorausgesetzt wird – ausgeschlossen, sondern nur dadurch erschwert, dass hierzu Erkenntnisse über einen vormaligen Stand des Registers herangezogen werden müssten, die (lediglich) keine Grundlage in den aktuell vorhandenen Eintragungen (mehr) finden.
Der Gesetzgeber hat dies aber erkennbar für nicht ausreichend transparent gehalten und deshalb ein Bedürfnis für die Überliegefrist bejaht, deren mangelnder Ablauf eine hinreichende, aber auch notwendendige Voraussetzung für die weitere Verwertung einer bereits getilgten Eintragung darstellt.
Er hat dabei hingenommen, dass sich durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs die Rechtskraft derjenigen "aktuellen" Entscheidung, auf deren Tattag – erst nach ihrer Rechtskraft – gem. § 4 Abs. 5 S. 5 StVG für die Ermittlung des Punktestandes abzuheben ist, so lange hinauszögern lässt, bis die einjährige Überliegefrist "überwunden" ist und eine bestehende Registereintragung und die für diese vorgesehenen Punkte gelöscht sind.
Also hat der Gesetzgeber das Abwarten einer einjährigen Überliegefrist als ausreichende "Optimierungsmöglichkeit" erachtet, um das Risiko rein taktisch motivierter Rechtsmittel zu begrenzen und die retrospektive Feststellung des maßgeblichen Punktestandes im Fahreignungsregister hinreichend zu sichern.
Dies impliziert aber, dass nach Auffassung des Gesetzgebers die Löschung einer Eintragung nach Ablauf der Überliegefrist ein absolutes Verwertungsverbot nach sich zieht und das für die Berechnung des Punktestandes maßgebliche Tattagsprinzip in § 4 Abs. 5 S. 5 und 7 StVG hierdurch eine Begrenzung erfährt.