I. Die Berechnung der Punkte unter Berücksichtigung des Tattagsprinzips
Es ist unglücklich, dass nicht die Eintragungen im Fahreignungsregister maßgeblich dafür sind, wie viele Punkte ein Betroffener tatsächlich hat.
Ein Punktestand ergibt sich zunächst außerhalb des Verhaltensregisters und wird erst später dort abgebildet und nachträglich berechnet.
Der tatsächliche Punktestand kann nicht immer unmittelbar aus dem Fahreignungsregister abgerufen werden, das Register lässt eine Auskunft "nur" bezüglich bereits gespeicherter Entscheidungen zu.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Entscheidung NJW 2017, 2933 hierzu Stellung genommen: Mit der zum 5.12.2014 in Kraft getretenen Gesetzesänderung, durch welche insb. hinsichtlich der Regelung in § 4 Abs. 5 und Abs. 6 StVG das Fahreignungsbewertungssystem erneut geändert worden ist, ist die Warnfunktion weggefallen. Im Fahreignungsbewertungssystem entscheidet die Fahrerlaubnisbehörde mithin auf der Grundlage der ihr gem. § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrtbundesamt übermittelten Eintragungen im Fahreignungsregister. Dieser Kenntnisstand ist maßgebend für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nach § 4 Abs. 5 StVG.
Bei Fahrerlaubnisinhabern, die sich durch eine Anhäufung von innerhalb kurzer Zeit begangenen Verkehrsverstößen als ungeeignet erwiesen haben, sollen die Verkehrssicherheit und das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, Vorrang vor dem Erziehungsgedanken haben. Die Erziehungswirkung liegt danach dem Gesetzessystem als solchem zu Grunde, während die Stufen in erster Linie der Information des Betroffenen dienen. Die Maßnahmen stellen lediglich eine Information über den Stand im System dar. Die Prüfung der Behörde, ob die Maßnahme der vorangegangenen Stufe bereits ergriffen worden ist, ist vom Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung zu beurteilen und beeinflusst das Entstehen von Punkten nicht. Dabei muss sich die Fahrerlaubnisbehörde weder das Wissen, über das eine der im Maßnahmesystem "vorgelagerten" Stellen (hier: Kraftfahrtbundesamt) hinsichtlich weiterer Verkehrsverstöße verfügt, noch ein Verschulden dieser Stellen bei der Datenübermittlung zurechnen lassen.
In der Praxis hat der Fahrerlaubnisinhaber daher keinerlei Einflussmöglichkeiten auf den Zeitpunkt der Mitteilungen an die Fahrerlaubnisbehörde. Wenn Mitarbeiter krank sind, beeinflusst das den Zeitpunkt der Mitteilungen und alles wird verzögert. Eine schnelle Meldung kann zu schneller Reaktion der Fahrerlaubnisbehörde führen. Letztlich hängt es vom Zufall ab, wann eine Meldung erfolgt. Hier fehlt es an Rechtssicherheit.
Eine Korrektur ist aus Sicht der Praxis an diesem Punkt geboten. Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Rechtskraft würde hier Rechtssicherheit schaffen.
Das Gegenargument taktischer Rechtsmittel zur Verzögerung des Zeitpunktes der Rechtskraft vermag hier nicht zu überzeugen. Solche Rechtsmittel mag es im Einzelfall geben, sie wurden aber bewusst vom Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung in Kauf genommen. Sie führen also nicht zu einer Überlastung der Gerichte. Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Rechtskraft würde einen wesentlichen Beitrag darstellen zur Akzeptanz des Registers für die Zukunft, da hier Transparenz in der Berechnung geschaffen wird.
II. Auswirkungen der Überliegefrist aus § 29 Abs. 6 StVG
Nach der Überliegefrist werden Zuwiderhandlungen nach ihrer Tilgung ein Jahr lang nicht gelöscht, damit sie zur retrospektiven Feststellung eines Punktestandes noch herangezogen werden können. Die Überliegefrist hat den Zweck, nach Ablauf der Tilgungsfrist noch feststellen zu können, ob der Inhaber einer Fahrerlaubnis vorher noch eine oder mehrere andere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen hat, die sich auf den Punktestand ausgewirkt haben, zu denen die rechtskräftige Entscheidung aber erst nach Ablauf der Tilgungsfrist im Fahreignungsregister eingetragen wird.
Hierzu gibt es zwei Auffassungen:
1) Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (11 CS 17.1144 und 11 CS 17.953) und OVG Lüneburg (NJW 2017, 1769)
Die Regelungen der Berechnung des für eine behördliche Maßnahme maßgeblichen Punktestandes (§ 4 Abs. 5 S. 5 bis S. 7 StVG) sind im Rahmen der Rechtsfolgenregelung einer Löschung von Eintragungen im Fahreignungsregister (§ 29 Abs. 7 S. 1 StVG) nicht anzuwenden. Nach § 4 Abs. 5 S. 7 StVG bleiben nur spätere Veränderungen des Punktestandes aufgrund von Tilgungen bei der Berechnung des Punktestandes zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit (vgl. § 4 Abs. 5 S. 5 und S. 6 StVG) unberücksichtigt. Es stellt keinen durch Gesetzesauslegung auszuräumenden Wertungswiderspruch, sondern eine vom Gesetzgeber beabsichtigte Begrenzung des für die Berechnung des Punktestandes maßgeblichen Tattagsprinzips dar, wenn diese Bestimmung für ihren Regelungsbereich tatbestandlich an die Tilgung bzw. Tilgungsreife anknüpft und § 29 Abs. 7 S. 1 StVG an die erst nach Ablauf der Tilgung und der Überliegefrist erfolgende Löschung.
Der Senat teilt die Auffassung des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass es sich bei § 4 Abs. 5 S. 7 StVG nicht um eine das Verwertungsverbot durchbrechenden Spezialvorschrift handelt und die Bestimmung auch nicht analog ...