VVG § 28
Leitsatz
1. Die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers nach Eintritt eines Versicherungsfalles erstreckt sich auch auf Tatsachen, deren Angabe eigenen Interessen widerstreitet, sofern sie zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein können. Unzulängliche Angaben des Versicherungsnehmers verletzen aber dann keine schutzwürdigen Interessen des Versicherers, wenn dieser einen maßgeblichen Umstand bereits kennt.
2. Die Angabe einer Laufleistung von exakt "100.000 km", der eine Tilde vorangestellt wird, macht deutlich, dass es sich hierbei um eine Schätzung handelt. Abweichungen von 10 % zur tatsächlichen Laufleistung lassen in einem solchen Fall keinen Rückschluss auf eine Täuschungsabsicht zu.
OLG Dresden, Urt. v. 11.6.2019 – 4 U 1399/18
1 Aus den Gründen:
"… I. Dem Kl. ist der Beweis des äußeren Bildes einer bedingungsgemäßen Entwendung gelungen."
1. Nach st. Rspr. des BGH (vgl. nur BGHZ 123, 217 ff.; BGHZ 130, 1 ff.) kommen dem Versicherungsnehmer bei einem behaupteten Kfz-Diebstahl Beweiserleichterungen zugute, indem er nicht den vollen Nachweis des Diebstahls führen, sondern nur das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung beweisen muss, also ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Entwendung zulassen. Dieses Mindestmaß ist in der Regel dann erfüllt, wenn bewiesen wird, dass das Fahrzeug vom Versicherungsnehmer zu bestimmter Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt, dort aber später nicht mehr vorgefunden worden ist.
Hat der Versicherungsnehmer Anzeichen für das äußere Bild einer Entwendung – etwa durch Benennung von Zeugen – unter Beweis gestellt, ist dem durch Beweisaufnahme nachzugehen (vgl. BGH VersR 1997, 733; BGH VersR 1998, 1012). Dabei kann der Versicherungsnehmer den erleichterten Entwendungsbeweis grds. auch dann führen, wenn das Abstellen des Pkw und sein späteres Nichtwiederauffinden von jeweils verschiedenen Personen beobachtet wurde. Geführt ist der Beweis der erforderlichen Mindesttatsachen für das äußere Bild eines Fahrzeugdiebstahls indes nur, wenn die Angaben der Zeugen zuverlässig ergeben, dass sich ihre Beobachtungen für das Abstellen und das Nichtwiederauffinden auf ein und dieselbe Örtlichkeit beziehen (vgl. BGH VersR 1998, 1012). Nicht geführt ist der Nachweis des äußeren Bildes dagegen mit sog. Rahmentatsachen, die lediglich mittelbar den Schluss auf das Abstellen und Abhandenkommen des Fahrzeuges zulassen (vgl. BGH VersR 1997, 691).
2. Unter Berücksichtigung dessen hat der Kl. aufgrund der Aussage der Zeugin N. R. den Beweis für das von ihm behauptete Abstellen des Fahrzeuges am 15.7.2017 auf dem Gelände der Autowerkstatt S. und aufgrund der Aussage des Zeugen D. B., Inhaber der Autowerkstatt, für das behauptete Nichtwiederauffinden des Fahrzeuges auf dem Gelände geführt. (wird ausgeführt)
II. Die Bekl. hat auch nicht den Beweis geführt, dass der Kl. den Versicherungsfall vorgetäuscht hat.
Beruft sich der Versicherer auf die Vortäuschung des Versicherungsfalles, muss er konkrete Umstände vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich der Schluss ziehen lässt, dass der Versicherungsnehmer den behaupteten Diebstahl mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nur vorgetäuscht hat. Dabei ist für die Indizien selbst der Vollbeweis erforderlich, für die Haupttatsache, dass der Diebstahl vorgetäuscht wurde, bedarf es nur der erleichterten Form des Beweises, nämlich einer erheblichen Wahrscheinlichkeit. Darüber hinaus reichen eine Einzelwürdigung der Indizien und die Auflistung sich daraus ergebender Zweifel an der Darstellung des Versicherungsnehmers für sich genommen nicht aus, eine erhebliche Vortäuschungswahrscheinlichkeit festzustellen. Vielmehr sind die Zweifel auslösenden Umstände im Zusammenhang und mit Blick darauf zu würdigen, ob überhaupt und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie die Annahme einer Vortäuschung des Versicherungsfalles nahelegen. Dies gilt auch für die Würdigung solcher Tatsachen, die eine Vortäuschung nicht unmittelbar ergeben, sondern sie nur indizieren (vgl. zum Vorstehenden nur BGH VersR 2008, 776; BGH NJW-RR 1996, 981).
Die von der Bekl. angeführten Umstände sind hier weder für sich allein noch in einer Gesamtschau geeignet, um die Schlussfolgerung zu ziehen, dass der Kl. den Diebstahl mit erheblicher Wahrscheinlichkeit vorgetäuscht hat. Die Behauptung, der Kl. habe einen vor dem behaupteten Diebstahl regulierten Kaskoschaden (“Vandalismusschaden') an dem Leasingfahrzeug – trotz der von der Bekl. selbst vorgelegten Rechnung – lediglich fiktiv abgerechnet, hat sie nicht bewiesen (vgl. dazu auch III.2.). Dass der Kl. den behaupteten Defekt in einer Freien Werkstatt und nicht in einer X-Werkstatt habe beheben lassen wollen, hat im Hinblick auf die ihm von der Bekl. zur Last gelegte Vortäuschung des Diebstahls keine erhebliche Aussagekraft. Allein das von der Bekl. angeführte mögliche wirtschaftliche Motiv des Kl. aufgrund der – selbst bei Berücksichtigung des von ihm eingeräumten Kilometerstandes – wegen Überschreitung de...