VVG § 28 Abs. 3, Abs. 4 § 93, AVB Inhaltsversicherung § 7 3.3 § 11 2.1.2 § 12
Leitsatz
1. In der Gebäudeversicherung kann en Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz der Neuwertspitze auch dann zulässig sein, wenn eine Wiederherstellung oder Ersatzbeschaffung noch nicht sichergestellt ist.
2. Die Berufung des VR auf die Ausschlussfrist ist ausgeschlossen, wenn sich der VR über längere Zeit treuwidrig seiner Leistungspflicht entzieht.
3. Die Beweislast für eine arglistige Obliegenheitsverletzung trägt der VR; der VN, dessen Kenntnis von einem mitteilungspflichtigen Umstand bewiesen ist, trägt hingegen die Beweislast für einen nachträglichen Wegfall dieser Kenntnis.
4. Der dem VN obliegende Beweis mangelnder Ursächlichkeit einer Obliegenheitsverletzung erfordert, dass der VN die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Möglichkeiten sowie die weitergehenden Behauptungen des VR ausräumt. Der VR muss im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast allerdings die konkrete Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses aufzeigen.
OLG Dresden, Urt. v. 6.10.2020 – 4 U 2789/19
Sachverhalt
Die Kl. macht Versicherungsleistungen aus einer Inhaltsversicherung aufgrund eines Brandereignisses in der Nacht vom 30. zum 31.10.2015 geltend.
Die AVB enthalten unter anderem folgende Regelungen:
"§ 11"
2.1.2. …
Der Zeitwert ergibt sich aus dem Neuwert der Sache durch einen Abzug entsprechend ihrem insbesondere durch den Abnutzungsgrad bestimmten Zustand; …
§ 12
2.1. Ist die Entschädigung zum Neuwert vereinbart, erwirbt der Versicherungsnehmer auf den Teil der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt (Neuwertanteil) einen Anspruch nur, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird, um …
2.1.2. bewegliche Sachen, die zerstört wurden oder abhandengekommen sind, in gleicher Art und Güte im neuwertigen Zustand wieder zu beschaffen.
… Das Objekt wird im Vertrag wie folgt beschrieben: "Büro, Lager, Kfz-Werkstatt, Lagerhaus, Garage". Das vierstöckige Gebäude wurde in den 70er Jahren in Plattenbauweise errichtet. Anfang der 90er Jahre wurde es als Ausbildungsbetrieb für die Lehrlingsausbildung und später bis Oktober 2011 als Hotel genutzt. Im Erdgeschoss befand sich ein Restaurant mit Kantine, im ersten und zweiten Obergeschoss Büro- und Unterrichtsräume und im dritten Obergeschoss Hotelzimmer. Nach Einstellung des Hotelbetriebes wurde das Gebäude von Mitarbeitern für Verwaltungstätigkeiten bis Ende 2014 genutzt. Ab Januar 2015 wurde das Gebäude als Lagerstätte für Geschäftsunterlagen und Betriebseinrichtungen verwendet, Wasserversorgung und Heizung wurden abgestellt. Die Kl. beabsichtigte eine Nutzungsänderung in ein Asylbewerberheim. Ende Oktober 2015 fanden Entrümpelungsarbeiten statt. In der Nacht zum 31.10.2015 ist das Gebäude durch Brandstiftung beschädigt worden.
2 Aus den Gründen:
1. Entgegen der Auffassung der Bekl. ist der Feststellungsantrag zulässig, insbesondere besteht ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Dieses kann nicht verneint werden, wenn dem konkreten, vom Feststellungsantrag betroffenen Recht des Klägers eine Gefahr der Unsicherheit droht und der erstrebte Feststellungsanspruch geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen und unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt. (…). Maßgeblich ist, dass nach Eintritt des Versicherungsfalles die Grundlagen des Anspruches bereits gegeben sind. Dies ist der Fall, denn ein Versicherungsfall ist unstreitig eingetreten. Streitig ist, ob die Kl. die Ersatzbeschaffung binnen drei Jahren sichergestellt hat und damit Anspruch auf die Neuwertentschädigung erheben kann. Für die Zulässigkeit des Feststellungsantrages kommt es indes nicht darauf an, ob die Kl. die Ersatzbeschaffung bereits sichergestellt hat. Bei der Frage nach der Gegenwärtigkeit des Rechtsverhältnisses ist nicht entscheidend auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung abzustellen (vgl. Senat, Urt. v. 4.2.2020 – 4 U 1942/18 – juris; vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.1.2019 – 12 U 129/18 – juris; andere Ansicht OLG Köln, Beschl. v. 12.3.2018 – 9 W 7/18 – juris).
2. Der Versicherungsfall ist unstreitig eingetreten, denn in dem Objekt kam es durch Brandstiftung in der Nacht zum 31.10.2015 zu einem Brandschaden. Ein Anspruch auf Neuwertentschädigung steht der Kl. aus der Inhaltsversicherung des Gebäudeversicherungsvertrages vom 21.3.2012 jedoch nicht zu (a). Sie hat lediglich in Höhe von 2.430 EUR einen Anspruch auf den Zeitwert (b). Sie hat zwar ihre Obliegenheit zur vollständigen Auskunftserteilung grob fahrlässig verletzt (c), jedoch ist dieser Leistungsanspruch nicht zu kürzen, weil nicht ersichtlich ist, wie sich der Pflichtverstoß auf die Entschädigungspflicht ausgewirkt haben soll (d). Der Bekl. ist der Beweis dafür, dass die Kl. den Versicherungsfall nach § 81 VVG vorsätzlich herbeigeführt hat, nicht gelungen (e). Eine relevante Gefahrerhöhung liegt ebenfalls nic...