BGB § 823 Abs. 1, ZPO § 256 Abs. 1
Leitsatz
1. Der Umfang der gebotenen Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach deren Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen zu verhindern
2. Das Maß der geschuldeten Aufsicht erhöht sich mit der Gefahrträchtigkeit der konkreten Situation. Spielen Kinder in der Nähe von Straßen oder in der Nähe gefährlicher Gegenstände, ist mehr Aufsicht angebracht als innerhalb eines abgegrenzten, risikoarmen Bereichs.
3. Kleinkinder bedürfen ständiger Aufsicht, damit sie sich nicht Gefahren in ihrer Umgebung aussetzen, die sie aufgrund ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit noch nicht erkennen und beherrschen können. Diese Gefahren sind für sie allgegenwärtig; sie können schon aus Gegebenheiten erwachsen, die für jeden anderen gänzlich ungefährlich sind.
4. Die Behauptung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien ist besondere Prozessvoraussetzung der Feststellungsklage. Für ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis genügen Beziehungen zwischen den Parteien, die schon zur Zeit der Klageerhebung die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden. Nicht ausreichend ist dagegen ein Rechtsverhältnis, das noch nicht besteht, sondern erst in Zukunft unter Voraussetzungen, deren Eintritt noch völlig offen ist, entstehen kann. Die bloße Aussicht, einen Anspruch demnächst zu erwerben, begründet kein gegenwärtiges Rechtsverhältnis (hier: zukünftig zu leistenden Zahlungen eines Haftpflichtversicherers und Anspruchsübergang nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG).
BGH, Urt. 19.1.2021 – VI ZR 194/18
Sachverhalt
Der Beklagte veranstaltete auf seinem Vereinsgelände ein Reitturnier, das ohne Zugangsbeschränkung und Eintrittsgeld von Zuschauern besucht werden konnte. Für das Abstellen von Pferdetransportern stellte der Beklagte den Turnierteilnehmern verschiedene Wiesen zur Verfügung. Eine dieser Wiesen grenzte an einen Weg, der während der Turnierveranstaltung befahren und auch von Besuchern begangen wurde. Entlang des Weges wurden auf der Wiese unter anderem verschiedene Landmaschinen ausgestellt. Dahinter befanden sich von Turnierteilnehmern abgestellte Pferdetransporter und -anhänger. Dort parkte auch die Klägerin zu 1, die eine Turnierteilnehmerin begleitete, auf dem ihr zugewiesenen Stellplatz ihr Fahrzeug mit einem Pferdeanhänger. In diesem befand sich neben dem Pferd der Klägerin zu 1, für welches diese eine Haftpflichtversicherung bei der Klägerin zu 2 unterhielt, ein weiteres Pferd der von ihr begleiteten Turnierteilnehmerin. Die Klägerin zu 1 stellte ihr Fahrzeug weisungsgemäß mit der Front zu dem Weg ab, der an die Wiese anschloss, sodass das Heck des Pferdeanhängers dem Wettkampfgelände abgewandt war. Als die Turnierteilnehmerin, die die Klägerin zu 1 begleitete, mit den Pferden verschiedene Wettkämpfe bestritten hatte, wurden diese in den Pferdeanhänger verbracht, angebunden und von hinten mit einer Haltestange gesichert. Die Rampe am Heck des Pferdeanhängers und Luken im seitlichen Frontbereich waren wegen der hohen Lufttemperatur geöffnet. Danach verließen die Klägerin zu 1 und die Turnierteilnehmerin den Pferdeanhänger. Ein knapp drei Jahre altes Kind, das mit seinen Eltern und weiteren Verwandten das Turnier besuchte, gelangte unbemerkt in diesen hinein, wo es von einem Pferdehuf am Kopf getroffen und schwer verletzt wurde.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufungen der Klägerinnen festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin zu 2 einen Anteil von 1/3 sämtlicher Zahlungen zu erstatten, die diese aufgrund der Verletzungen des Kleinkindes geleistet hat, und die Klägerin zu 1 von allen Ansprüchen, mit denen diese aufgrund von Verletzungen des Kleinkindes belastet wird, im Umfang von 1/3 freizustellen. Im Übrigen hat es die Berufungen zurückgewiesen.
Gegen dieses Urteil haben sowohl der Beklagte als auch die Klägerinnen Revision eingelegt. Der BGH die Rechtsmittel der Klägerinnen zurückgewiesen und das Urteil aufgehoben, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
2 Aus den Gründen:
A. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klage sei unzulässig, soweit die Klägerin zu 2 die Feststellung beantrage, dass der Beklagte zur Erstattung von Zahlungen verpflichtet sei, die die Klägerin zu 2 zukünftig noch leisten werde. Der Versicherer könne vor einer Leistung nur auf Feststellung der Leistungspflicht des Schädigers gegenüber dem Versicherungsnehmer klagen. Maßgeblich sei, dass ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherer und dem Anspruchsgegner erst mit Leistungserbringung gemäß § 86 VVG (also Forderungsübergang) entstehe. Soweit die Feststellung begehrt werde, dass der Be klagte zur Freistellung beider Klägerinnen verpflichtet sei, sei der Antrag unzulässig, soweit er auch zugunsten der Klägerin zu 2 gestellt werde.
Im Übrigen sei die Klage teilweise begründet. Der Unfall ...