OWiG § 10; StVO § 3

Leitsatz

Zur Annahme einer lediglich fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung bei Angaben des Betroffenen zum Anlass der Fahrt.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 3.2.2022 – 1 OWi 2 SsBs 113/21

Sachverhalt

Mit Urteil das Amtsgericht den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h zu einer Geldbuße von 320,– EUR verurteilt. Das im Bußgeldbescheid noch enthaltene Fahrverbot hat das Amtsgericht gem. § 4 Abs. 4 BKatV gegen Erhöhung der Regelgeldbuße entfallen lassen.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr die B 270 in Fahrtrichtung Weilerbach, wobei er die dort mittels Verkehrsschildern auf 100 km/h begrenzte Höchstgeschwindigkeit um – toleranzbereinigte – 43 km/h überschritt. Der Betroffene hat nach den schriftlichen Urteilsgründen die Fahrereigenschaft eingeräumt und sich dahin eingelassen, er halte Pferde in S. und habe über ein Alarmsystem einen Daueralarm von der elektrischen Einfriedung der Koppel erhalten. In der Vergangenheit sei es einmal vorgekommen, dass sich eines der Pferde in der stromführenden Schnur verwickelt und wiederholt Stromschläge erhalten habe. Nachdem er vor Ort niemanden erreicht habe, habe er sich selbst auf den Weg gemacht und aus Sorge um das Tier "möglicherweise nicht die notwendige Sorgfalt für die Beschränkung aufgebracht". Das Amtsgericht hat diese Einlassung für nicht widerlegt erachtet und einen fahrlässigen Verstoß angenommen.

Das OLG Zweibrücken hat auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

2 Aus den Gründen:

[…]

II. Die Beschwerdeführerin beanstandet mit ihrer Sachrüge zu Recht die dem Schuldvorwurf zugrunde gelegte Beweiswürdigung des Amtsgerichts. Auf die auch gegen den Rechtsfolgenausspruch gerichteten Angriffe der Beschwerdeführerin kommt es daher nicht an.

a) Die Beweiswürdigung und somit die Überzeugungsbildung des Tatrichters unterliegt einer nur eingeschränkten Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts und sind daher für dieses grundsätzlich bindend und dürfen nicht durch die eigene Beweiswürdigung ersetzt werden (zur Revision: BGH, Beschl. v. 7.6.1979 – 4 StR 441/78, juris Rn 8; vgl. auch Nack in: StV 2002, 510, jurion; Nack in: StV 2002, 558, jurion; Miebach in: NStZ-RR 2014, 233, beck-online; Miebach in: NStZ-RR 2016, 329). Der Beurteilung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt lediglich, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, das Gericht an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt sowie nahe liegende Schlussfolgerungen nicht erörtert hat oder über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht. Lückenhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn sie die Auseinandersetzung mit wesentlichen Umständen vermissen lässt, deren Erörterung sich aufdrängte. Dem Urteil des Tatrichters muss daher bedenkenfrei entnommen werden können, dass er bei seiner Prüfung keinen wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat, der geeignet sein könnte, das Beweisergebnis zu beeinflussen (BGH, Urt. v. 17.12.1980 – 2 StR 622/80, JurionRs 1980, 14683, Rn 5). Wenn auch im Bußgeldverfahren nicht dieselben Anforderungen wie im Strafverfahren gelten, so muss doch die Beweiswürdigung des Tatrichters so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung ermöglicht (OLG Koblenz, Beschl. v. 26.5.2013 – 2 SsBs 128/12, juris Rn 12 f.; vgl. zum Ganzen auch: OLG Zweibrücken, Urt. v. 15.6.2020 – 1 OLG 2 Ss 79/19, juris Rn 14 m.w.N.).

b) Gemessen daran vermögen die hierzu gegebenen Ausführungen die Annahme – lediglich – fahrlässigen Verhaltens nicht zu tragen.

aa) Grundsätzlich kann der Tatrichter ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass Verkehrsschilder wahrgenommen werden. Oberhalb einer Grenze von 40 % der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist zudem regelmäßig davon auszugehen, dass dem Fahrer die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit nicht verborgen geblieben sein kann (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 14.4.2020 – 1 OWi 2 SsBs 8/20, juris Rn 9 und 11 m.w.N.). Die Indizwirkung des Ausmaßes der Geschwindigkeitsübertretung auf ein (bedingt) vorsätzliches Verhalten des Fahrzeugführers kann aber durch eine entsprechende bestreitende Einlassung des Betroffenen oder das Vorliegen gegenteiliger Anhaltspunkte entkräftet werden.

Ob bereits die nicht näher erläuterte Angabe eines Fahrers, er habe die betreffenden Verkehrszeichen übersehen, ausreichen kann, diese Indizwirkung zu entkräften, ist fraglich. Denn der Tatrichter ist – wie auch sonst (vgl. BGH, Beschl. v. 19.9.2017 – 1 StR 436/17, juris Rn 10) – nicht aus Rechtsgründen gehalten, eine nicht eindeutig widerlegbare Einlassung eines Beschuldigten zu übernehmen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf ...

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