I. Die Rechtssetzung
Im Jahre 1988 wurde das Recht des selbstständigen Beweisverfahrens durch das Rechtspflegevereinfachungsgesetz reformiert. Zum 1.4.1991 sind als Teil des Rechtspflegevereinfachungsgesetzes vom 17.12.1990 die neuen §§ 485 – 494a ZPO in Kraft getreten und haben das jetzige selbstständige Beweisverfahren anstelle des früheren Beweissicherungsverfahrens eingeführt. Das frühere Recht der Beweissicherung wurde im Wesentlichen durch den Sicherungszweck des Verfahrens bestimmt. Es hatte mithin die Aufgabe, einer Partei ein gefährdetes Beweismittel für einen anzustrengenden oder bereits anhängigen Prozess zu erhalten.
Der Verfasser praktiziert das selbstständige Beweisverfahren seit rund 15 Jahren und stellt fest, dass in den Köpfen vieler Richter, aber auch in der Anwaltschaft der "Sicherungsgedanke" des selbstständigen Beweisverfahrens noch immer im Vordergrund steht und die vielfältigen Möglichkeiten des selbstständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO nicht erkannt werden.
II. Die Motive des Gesetzgebers zur Einführung von § 485 Abs. 2 ZPO
In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es wie folgt:
"2. Selbstständiges Beweisverfahren
Im geltenden Recht ist eine Beweiserhebung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich nur zur "Sicherung des Beweises" vorgesehen (§ 485 Satz 1 ZPO). Das Verfahren soll in erster Linie dazu dienen, gefährdete Beweismittel für einen Prozess nutzbar zu machen.
a) Mit dieser Beschränkung auf Fälle der Beweissicherung ist das deutsche Recht enger, als das anglo-amerikanische Recht, das den Parteien die Möglichkeit gibt, vor dem Eintritt in die eigentliche Verhandlung den Sachverhalt weitgehend aufzuklären (pre-trial discovery), § 485 ZPO lässt das Verfahren der Beweissicherung zwar zu, wenn der Gegner zustimmt. Dies kann dazu führen, dass das Verfahren auch durchgeführt wird, wenn es nicht um die Sicherung von Beweisen geht. Vom Zweck der Regelung dürften diese Fälle aber nicht erfasst sein. In der Praxis scheint ein solches "gewillkürtes" Beweissicherungsverfahren auch keine Rolle zu spielen. Dies wird aber zunehmend bedauert. Insbesondere wenn der Streit der Parteien nur von der Entscheidung tatsächlicher Fragen abhängt, wird die vor- oder außergerichtliche Beweisaufnahme als zweckmäßig angesehen. U.a. für Bauprozesse (Punktesachen), Kraftfahrzeug- und Arzthaftungsprozesse wird angenommen, dass die gesonderte Begutachtung durch einen Sachverständigen häufig zu einer die Parteien zufriedenstellenden Klärung und damit eher zum Vergleich als in einen Prozess führen würde.
Der Entwurf greift diese, durch erste Ergebnisse von Untersuchungen im Rahmen der Strukturanalyse gestützten Überlegungen auf. Er schlägt vor, das bisherige Beweissicherungsverfahren zu erweitern und auf den Sicherungszweck für das schriftliche Sachverständigengutachten ganz, im Übrigen bei Zustimmung des Gegners zu verzichten. Das Verfahren der §§ 485 ff. ZPO wird als selbstständiges Beweisverfahren bezeichnet.
Das Sicherungsverfahren herkömmlicher Art soll für den Beweis durch Augenschein, Zeugen und Sachverständige allerdings grundsätzlich erhalten bleiben, § 485 Abs. 1 ZPO in der Fassung des Entwurfs. Die engen Voraussetzungen für die Beweiserhebung durch diese Beweismittel sind mit Rücksicht auf die grundsätzlich zu fordernde Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gerechtfertigt. In vielen Fällen ist aber die schriftliche Begutachtung durch Sachverständige ohne diese engen Voraussetzungen erwünscht. Das gilt insbesondere für Fälle, in denen es im Wesentlichen um die Aufklärung von Tatsachen geht, die mit Personen- und Sachschäden oder Sachmängeln zusammenhängen. Solche Fallgestaltungen sollen nach der Neufassung des § 485 Abs. 2 ZPO im selbstständigen Beweisverfahren aufgeklärt werden können. Der Entwurf will einer verbreiteten Forderung folgend ferner sicherstellen, dass sich der Sachverständige auch zu den Ursachen eines Schadens oder Mangels und zu den Kosten der Beseitigung äußern kann, was derzeit nicht vorgesehen ist."
Ziel des Gesetzgebers war es offensichtlich und erklärtermaßen, zur Vermeidung von Prozessen zu gelangen, wenn sich die Parteien vor allem über Fragen tatsächlicher Art streiten. Entsprechendes ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO), heißt es doch dort wie folgt:
"Ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann."
Mehr als 30 Jahre nach der Gesetzesänderung lässt sich in der Praxis feststellen, dass das Beweisverfahren nach wie vor ein Nischendasein fristet, weil die vielfältigen Möglichkeiten nicht erkannt wurden.
III. Zulässige Ausforschung
Die Motive des Gesetzgebers belegen, dass mit dem selbstständigen Beweisverfahren die Möglichkeit eröffnet werden sollte, dass gutachterlich eine Tatsach...