Teil 1
A. Einführung
Versicherungen schalten in der Schadenregulierung regelmäßig externe Dienstleister ein, um die Schadenregulierung aus Sicht des Versicherers zu "optimieren".
Es handelt sich im Sachschadenbereich um Prüforganisationen, die nach Vorgaben des Auftraggebers eine "Prüfung", das heißt tatsächlich eine Kürzung von berechtigten Ansprüchen herbeiführen. Im Personenschaden und der Personenversicherung werden zunehmend "Gutachteninstitute" eingeschaltet, die ausweislich der Internetauftritte damit werben, die Abwicklung von Personenschäden zu optimieren. Allen vertraglichen Versicherungsansprüchen ist gemein, dass der Versicherer bei einer erforderlichen Begutachtung die Beauftragung des Sachverständigen übernimmt.
Da der Versicherer als Auftraggeber der Begutachtungen gelegentlich Vorgaben zur Begutachtung erteilt, jedenfalls stets als Auftraggeber und Vertragspartner der Sachverständigen fungiert, beschleicht den Versicherungsnehmer oder Unfallgeschädigten gelegentlich der Verdacht, dass das Produkt der Begutachtung möglicherweise nicht seinen Interessen entspricht. Nach dem Grundsatz "wes Brot ich ess" ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass ein gerichtlicher Sachverständiger zu anderen Ergebnissen gelangt. Dem Unfallgeschädigten und Versicherungsnehmer fehlt regelmäßig die notwendige Sachkunde. Auch steht ihm kein "Backoffice" zur Verfügung, um eine fachkundige Überprüfung der vom Versicherer vorgelegten Begutachtung vornehmen zu können.
Hier kommt als probates Mittel das selbstständige Beweisverfahren "ins Spiel". In dem Aufsatz wird aufzuzeigen sein, dass mit Hilfe des von Versicherern nicht geliebten selbstständigen Beweisverfahrens im Versicherungsvertragsrecht eine "Waffengleichheit" (wieder) hergestellt werden kann. Im Haftungsrecht kann mit Hilfe des selbstständigen Beweisverfahrens eine außergerichtliche Erledigung auf "Augenhöhe" erfolgen oder aber jedenfalls das Material für einen späteren Prozess herbeigeschafft werden. In dem Aufsatz wird aufzuzeigen sein, dass anders als im gerichtlichen Erkenntnisverfahren "Ausforschung" betrieben werden darf. Durch die Einschaltung eines Sachverständigen im selbstständigen Beweisverfahren kann nicht nur die Höhe einzelner Sachschadenersatzansprüche festgestellt werden, sondern ebenso ob und in welcher Höhe einzelne Personenschadenersatzansprüche oder versicherungsvertragsrechtliche Ansprüche bestehen.
Mit Hilfe des selbstständigen Beweisverfahrens kann eine notwendige Beweiserhebung und Beweissicherung auf einen frühen Zeitpunkt vorverlegt werden. Der Verfasser propagiert bekanntlich die frühzeitige Einschaltung von Sachverständigen in der Personenschadenregulierung. Gerade bei schweren Personenschäden ist es geboten, frühzeitig zu einer gerichtsfesten Begutachtung zu gelangen. Da das selbstständige Beweisverfahren in der Unfallschadenregulierung und im Versicherungsrecht immer noch ein Nischendasein fristet, soll im ersten Teil des Aufsatzes das selbstständige Beweisverfahren im Einzelnen erläutert werden, während im zweiten Teil des Aufsatzes sodann die einzelnen Anwendungsbereiche im Sach-, Personenschaden aber auch im Versicherungsvertragsrecht mit Musterbeispielen erläutert werden.
B. Vorbemerkung
I. Die Rechtssetzung
Im Jahre 1988 wurde das Recht des selbstständigen Beweisverfahrens durch das Rechtspflegevereinfachungsgesetz reformiert. Zum 1.4.1991 sind als Teil des Rechtspflegevereinfachungsgesetzes vom 17.12.1990 die neuen §§ 485 – 494a ZPO in Kraft getreten und haben das jetzige selbstständige Beweisverfahren anstelle des früheren Beweissicherungsverfahrens eingeführt. Das frühere Recht der Beweissicherung wurde im Wesentlichen durch den Sicherungszweck des Verfahrens bestimmt. Es hatte mithin die Aufgabe, einer Partei ein gefährdetes Beweismittel für einen anzustrengenden oder bereits anhängigen Prozess zu erhalten.
Der Verfasser praktiziert das selbstständige Beweisverfahren seit rund 15 Jahren und stellt fest, dass in den Köpfen vieler Richter, aber auch in der Anwaltschaft der "Sicherungsgedanke" des selbstständigen Beweisverfahrens noch immer im Vordergrund steht und die vielfältigen Möglichkeiten des selbstständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO nicht erkannt werden.
II. Die Motive des Gesetzgebers zur Einführung von § 485 Abs. 2 ZPO
In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es wie folgt:
"2. Selbstständiges Beweisverfahren
Im geltenden Recht ist eine Beweiserhebung außerhalb eines g...