StGB § 142 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz
Das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals von dem Unfall erfuhr, erfüllt nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Anschluss an BGH NStZ 2011, 209).
LG Lübeck, Beschl. v. 7.9.2021 – 4 Qs 164/21
Sachverhalt
Die Beschuldigte führte ein Fahrzeuggespann, bestehend aus einem Audi Q7 und einem Anhänger, der Platz für zwei hintereinander stehende Pkw bot. Sie befuhr die K. Straße in Lübeck und wollte nach links in die S. straße einbiegen. Sie musste warten, da dichter Verkehr herrschte. Der Fahrer eines ihr entgegenkommenden Taxis bremste ab, um ihr das Abbiegen zu ermöglichen. Bei dem Abbiegevorgang streifte ihr Anhänger einen gegenüber des Einmündungsbereiches der S. straße geparkten Pkw Fiat Panda und verursachte daran auf einer Länge von 190 cm starke Schrammen, starke Dellen und Schmutzrückstände. Der Anhänger selbst wurde dabei nicht beschädigt. Die Beschuldigte setzte ihre Fahrt in die S. straße fort. Der Taxifahrer sowie die Fahrerin des Fahrzeuges, das sich hinter der Beschuldigten auf der K. Straße befand, hatten den Unfall wahrgenommen und sprachen darüber. Der Taxifahrer bog sodann ebenfalls in die S. straße ein, wo er auf die Beschuldigte und ihren Beifahrer traf und sie auf den Unfall ansprach. Zudem informierte er die Polizei.
Mit Beschluss hat das Amtsgericht der Beschuldigten gemäß § 111a StPO, § 69 StGB vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen und ihren Führerschein beschlagnahmt. Die Beschuldigte habe einen Fremdsachschaden von 2.000 EUR verursacht. Sie habe den Unfall bemerkt und zumindest damit gerechnet, dass Unfallbeteiligte nicht unerheblich verletzt und ein bedeutender Fremdsachschaden verursacht worden sein könnte. Zudem habe der Zeuge sie in unmittelbarer Nähe zum Unfallort auf den Verkehrsunfall aufmerksam gemacht. Die Beschuldigte habe sich sogleich von der Unfallstelle entfernt, um sich sämtlichen erforderlichen Feststellungen zu entziehen.
Das LG Lübeck hat auf die Beschwerde der Beschuldigten den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die Beschwerde der Beschuldigten ist zulässig und begründet.
Aus Sicht der Kammer besteht kein dringender Tatverdacht dahingehend, dass die Beschuldigte den Unfall unmittelbar wahrnahm. Es erscheint nachvollziehbar, dass sie inmitten des starken Verkehrs und mit einem Beifahrer im Fahrzeug nicht bemerkt haben könnte, dass ihr sehr langer Anhänger ein geparktes Fahrzeug streifte. Auch wenn der Fahrer des ihr entgegenkommenden Taxis ein Geräusch wahrnahm, muss dies nicht auch auf die Beschuldigte zutreffen. So könnte der Taxifahrer mit offenem Fenster gefahren sein, die Beschuldigte aber nicht.
Soweit die Beschuldigte von dem Zeugen auf den Unfall angesprochen wurde, kann dies geschehen sein, nachdem sie sich bereits vom Unfallort entfernt hatte. Das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals von dem Unfall erfuhr, erfüllt nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB (BGH NStZ 2011, 209). Wenn die Beschuldigte, ihrer Einlassung entsprechend, die Straße bis zum Ende fuhr, um dort zu wenden, entfernte sie sich laut "Google Maps" rund 260 Meter von der Unfallstelle, wobei sie sich infolge einer Kurve auch nicht mehr in Sichtweite befand. Hier bestand kein unmittelbarer räumlicher Bezug zu dem Unfallgeschehen mehr. Für feststellungsbereite Personen wäre sie hier nicht als warte- und auskunftspflichtig zu erkennen gewesen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.
zfs 10/2022, S. 589