I. Einleitung
Jedes Jahr kommt es trotz immerhin deutlich rückläufiger Fallzahlen zu einer nicht unerheblichen Anzahl von Unfällen zwischen motorisierten Verkehrsteilnehmern, vorwiegend Pkw, und Fußgängern. Das Statistische Bundesamt weist für das Kalenderjahr 2022 insgesamt 26.489 im öffentlichen Straßenverkehr verletzte Fußgänger aus, von denen 368 tödlich verletzt wurden. Während der Hochphase der Corona-Pandemie kam es 2021, wohl auch aufgrund des eingeschränkten Fahrzeugverkehrs, zu den geringsten Fallzahlen seit der Aufzeichnung mit 343 getöteten Passanten.
Statistisch erfasst werden auch die Unfallursachen, soweit ermittelbar. Von den insgesamt 11.223 erfassten Fällen, bei denen ein "falsches Verhalten des Fußgängers" erfasst wurde, ist für 8.131 Fälle ein falsches Verhalten beim Überschreiten der Fahrbahn vermerkt. Davon ereigneten sich 757 Fälle an Lichtzeichenanlagen, 517 in der Nähe von Kreuzungen, Einmündungen, Lichtzeichenanlagen oder Fußgängerüberwegen und 1.576 im Zusammenhang mit dem plötzlichen Hervortreten hinter einem Sichthindernis. Für 4.561 Fälle erfasste die Polizei die Ursache "ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten". Im Verhältnis zu der Nicht-Benutzung des Gehweges im parallelen Verkehr, also dem Laufen auf der Fahrbahn (hier: 232 Fälle), ereignen sich also die meisten Unfälle dort, wo sich die Wege von Fahrzeugen und Fußgängern kreuzen.
Diese Betrachtung widmet sich den Grundsätzen der wechselseitigen Haftung und einigen in diesem Kontext bedeutsamen, jüngeren gerichtlichen Entscheidungen.
II. Grundlegendes
1. Haftungsgrundsätze – Betriebsgefahr
Kommt es zur Kollision zwischen einem der Vorschrift des § 7 StVG unterfallenden Verkehrsteilnehmer und einem Fußgänger, so ist Ausgangspunkt der Haftungsbewertung unter den Beteiligten die dem Fahrzeug innewohnende Betriebsgefahr als Folge der Gefährdungshaftung. Kann keiner der Beteiligten dem anderen einen eigenen Verkehrsverstoß nachweisen, so stellt die Betriebsgefahr den einzigen Haftungsanker dar. In diesen Fällen kommt es zur Alleinhaftung auf Seiten des Fahrzeughalters/-führers. Die sich aus der Betriebsgefahr ergebene Ersatzpflicht ist gegenüber einem nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmer nur dann ausgeschlossen, wenn der Unfall im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG auf höherer Gewalt beruht, also auf einem "außergewöhnlichem, betriebsfremden, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen Dritter herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlichen Mitteln auch durch äußerste, nach Sachlage vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist". § 17 StVG ist nur bei Kollisionen zwischen Beteiligten anzuwenden, die jeweils für eine Betriebsgefahr einzustehen haben. Das Berufen auf eine Unabwendbarkeit i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG gegenüber einem Fußgänger kommt für den motorisierten Verkehr seit der Gesetzesreform zum 1.8.2002 nicht in Betracht.
Einfallstor für die (Mit-)Haftung des Fußgängers und eine dann doch durchzuführende Abwägung der Verursachungsbeiträge ist § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB i.V.m. (vor allem) § 25 StVO. Beweisbelastet ist der Halter des beteiligten Fahrzeugs.
Gegenüber den in § 3 Abs. 2a StVO genannten, besonderen Personengruppen haben sich Fahrzeugführer besonders umsichtig zu verhalten. Das Gesetz spricht hier – wie bei den sog. "Todsünden" – zwar auch von einem "Ausschließen einer Gefährdung", dies ist aber nicht im Sinne des ansonsten schon aus dieser Formulierung abgeleiteten Anscheinsbeweises zu verstehen. Kommt es zu einer Kollision zwischen einem Fahrzeug und einem Mitglied der nach dieser Vorschrift besonders geschützten Personengruppe, so wird bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge in aller Regel selbst bei Ausfüllen eines Verschuldenstatbestands auf Seiten des Fußgängers eine gewisse Mi...