I. Einführung und Problemstellung
Private Versicherer sind traditionell dafür bekannt, ihrer Deckungspflicht nach Möglichkeit unter Hinweis auf ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) entgehen zu wollen. Gelegentlich geschieht dies auch dadurch, dass Fristbestimmungen in diese privaten Regelwerke aufgenommen werden. Das wohl bekannte Beispiel sind Bestimmungen in Versicherungsbedingungen privater Unfallversicherer, wonach die Invalidität des Unfallopfers binnen 15 Monaten nach dem Unfall festgestellt werden muss. Aber auch Allgemeine Versicherungsbedingungen betreffend die private Krankheitskostenversicherung können Fristen für die Inanspruchnahme von Leistungen durch die Versicherungsnehmer normieren. Beispielsweise kommt es vor, dass solche Regelwerke bestimmen, dass die Kosten von Arznei- und Verbandmitteln nur dann erstattungsfähig sind, wenn diese innerhalb von zehn Tagen ab dem Tag der Ausstellung der Verordnung in einer Apotheke zu beziehen sind.
Jedoch fehlt es bislang an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, die sich mit Fristregelungen für die Inanspruchnahme von Leistungen in den Allgemein Versicherungsbedingungen privater Krankheitskostenversicherer befasst; denn im Kapitel "Krankenversicherung" im VVG (§§ 192 – 208 VVG) ist nicht von vom Versicherungsnehmer zu beachtenden Fristen der genannten Art die Rede. Ebenso wenig enthält das Kapitel "Vorschriften für alle Versicherungszweige" dieses Gesetzes (§§ 1 – 73 VVG) eine Fristregelung für die Inanspruchnahme von Leistungen. Gleiches gilt für das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) als das zweite innerstaatliche bereichsspezifische Gesetz; denn dieses regelt allein die staatliche Beaufsichtigung über alle Marktteilnehmer, die Versicherungs- oder Pensionsfondsgeschäfte betreiben.
II. Handelt es sich bei solchen Fristbestimmungen um unwirksame Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen?
Aus dem genannten Grund kann sich die Unwirksamkeit von in Versicherungsbedingungen privater Krankenversicherer enthaltenen Fristregelungen zum Nachteil der Versicherungsnehmer allein aus nicht bereichsspezifischen gesetzlichen Bestimmungen ergeben. Als solche kommen insbesondere die Regelungen des BGB über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 – 310 BGB) in Betracht; denn bei den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, zu denen alle Versicherungsbedingungen mit Ausnahme der individuell ausgehandelten besonderen Versicherungsbedingungen rechnen, handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) für das Versicherungsgeschäft. Hierbei gilt es auch zu bedenken, dass die Klauseln bei AGB, die ein Unternehmer gegenüber einem Verbraucher verwendet, nicht notwendig vom Unternehmer gestellt sein brauchen. Vielmehr genügt es, dass der Verbraucher sie nicht in den Vertrag eingeführt hat (§ 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Daher können die Klauseln bei AGB der letzteren Art auch von einem Dritten gestellt worden sein. Um solche AGB handelt es sich bei den AVB privater Krankenversicherer aus den folgenden Gründen in jedem Fall:
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Unter § 310 Abs. 3 BGB fallen alle Verträge zwischen einem Verbraucher im Sinn von § 13 BGB und einem Unternehmer im Sinn von § 14 BGB. |
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In diesem Sinn ist Verbraucher jede natürliche Person, die ein Geschäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. |
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Demgegenüber ist in diesem Sinn ein Unternehmer eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt. |
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Deshalb handelt es sich bei einem Versicherungsvertrag um einen klassischen Verbrauchervertrag. Dies gilt erst recht für die private Krankenversicherung; denn diese deckt ein Risiko ab, das alle Menschen unabhängig von der Art ihrer beruflichen Tätigkeit trifft. |
Somit finden die §§ 305 – 310 BGB auf die AGB privater Krankenversicherer allgemein Anwendung, also selbst dann, wenn sie von einem Dritten gestellt wurden.
Letzteres wirkt sich auf eventuelle Fristregelungen in den AGB privater Krankenversicherer dahingehend aus, dass sie stets dann nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers wirken, wenn zumindest eine der folgenden drei Voraussetzungen erfüllt ist:
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Die Fristregelung ist überraschend. |
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Sie benachteiligt den Versicherungsnehmer entgegen Treu und Glauben unangemessen (§ 307 BGB). |
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Die Fristregelung ist unklar. |
Hierbei handelt es sich um alternative Tatbestandsmerkmale. Daher wirkt sich eine Fristregelung in solchen AGB bereits dann nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers aus, wenn bloß eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist.