Leitsatz
Zur Notwendigkeit einer Schadensschätzung.
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.5.2023 – VerfGH 106/22.VB-1/
1 Sachverhalt
[1] I. Die Verfassungsbeschwerde betrifft amtsgerichtliche Entscheidungen in einem Zivilrechtsstreit über Schadensersatzforderungen aus einem Verkehrsunfall.
[2] Der Beschwerdeführer nahm die Beklagte des Ausgangsverfahrens als Haftpflichtversicherung des alleinigen Unfallverursachers nach Schadensregulierung auf Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 208,20 EUR in Anspruch, die er als Differenz zu dem bereits gezahlten Betrag unter Rückgriff auf den Mittelwert der Schwacke-Liste und des Fraunhofer-Mietpreisspiegels (sog. "Fracke-Methode") ermittelte. Angemietet hatte er ein Fahrzeug mit einer auf 300 EUR reduzierten Selbstbeteiligung im Schadensfall.
[3] Mit Beschl. v. 17.8.2022 wies das Amtsgericht darauf hin, dass zur Beurteilung der Höhe des erstattungsfähigen Aufwands die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich sein werde. Die Bildung eines Mittelwertes aus den vom Beschwerdeführer herangezogenen Tabellen zur Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO sei nicht sachgerecht. Das Amtsgericht machte den Parteien zur Vermeidung der durch die Beweisaufnahme anfallenden Kosten einen Vorschlag zur gütlichen Einigung und beschloss für den Fall ihres Nichtzustandekommens die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Höhe der Mietwagenkosten verbunden mit der Auflage an den Beschwerdeführer, einen Auslagenvorschuss in Höhe von 2.000,00 EUR einzuzahlen. Der Beschwerdeführer lehnte den Vergleichsvorschlag und die Einzahlung des Auslagenvorschusses ab, bat das Amtsgericht unter Hinweis auf das Urteil des Landgerichts Münster vom 15.9.2020 – 03 S 23/20 – um Überprüfung seiner Rechtsauffassung und beantragte vorsorglich, wegen Abweichung von bestehender Rechtsprechung des Berufungsgerichts die Berufung nach § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO zuzulassen.
[4] Mit im vereinfachten Verfahren gemäß § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung ergangenem Urt. v. 19.9.2022 wies das Amtsgericht die Klage wegen Beweisfälligkeit des Beschwerdeführers ab und ließ die Berufung nicht zu. Zur Begründung führte es unter anderem aus, eine seriöse Schätzung der Mietkosten sei im konkreten Fall nicht möglich gewesen. Die Auffassung des Beschwerdeführers, das Gericht habe die Mietwagenkosten gemäß § 287 ZPO unter Ansatz von "Fracke" schätzen müssen, gehe fehl. Es treffe zwar zu, dass zahlreiche Gerichte diesen Weg wählten. Beide Listen wiesen jedoch gravierende Mängel auf. Es erscheine nicht sachgerecht, zwei ungeeignete Listen zu kombinieren und über Aufschläge auf manche Positionen und Abzug auf andere Positionen einen dann auf die Nachkommastelle genauen Wert zu ermitteln. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens seitens des Amtsgerichts werde – worauf das Amtsgericht auch im Beschl. v. 17.8.2022 bereits vorsorglich hingewiesen hatte – auch von der Berufungskammer (LG Münster, Beschl. v. 29.4.2020 – 03 S 17/20), die selbst "Fracke" für geeignet erachte, nicht beanstandet.
[5] Die dagegen unter dem 4.10.2022 erhobene Anhörungsrüge des Beschwerdeführers wies das Amtsgericht mit Beschl. v. 25.10.2022 zurück.
[6] Mit der am 25.11.2022 beim Verfassungsgerichtshof eingegangenen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, durch die amtsgerichtlichen Entscheidungen in seinen Ansprüchen auf effektiven Rechtsschutz und Justizgewährung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Das Amtsgericht habe sich mit dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Urteil des Landgerichts Münster vom 15.9.2020 – 03 S 23/20 – nicht auseinandergesetzt und weiche von der Rechtsprechung des Landgerichts Münster sowie dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 18.3.2016 – 9 U 142/15 – ab. Der Zugang des Beschwerdeführers zur Berufungsinstanz werde durch eine aus Sachgründen nicht zu rechtfertigende Handhabung von § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 3 ZPO unzumutbar eingeschränkt.
2 Aus den Gründen:
[7] II. 1. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1, § 59 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG durch die Kammer zurückgewiesen, weil sie unzulässig ist.
[8] Die Verfassungsbeschwerde ist nicht innerhalb der Frist des § 55 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG ordnungsgemäß begründet worden.
[9] a) Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 VerfGHG bedarf die Verfassungsbeschwerde einer substantiierten Begründung, die sich nicht lediglich in der Nennung des verletzten Rechts und in der Bezeichnung der angegriffenen Maßnahme erschöpfen darf. Vielmehr muss die Begründung formale und inhaltliche Anforderungen erfüllen. Erforderlich ist in formaler Hinsicht ein Vortrag, der dem Verfassungsgerichtshof eine umfassende Sachprüfung ohne weitere Nachforschungen etwa durch Beiziehung von Akten des Ausgangsverfahrens ermöglicht. Hierzu muss der Beschwerdeführer den Sachverhalt, aus dem er die Grundrechtsverletzung ableitet, sowohl aus sich heraus verständlich als auch h...