ZPO § 91 § 103 Abs. 1 § 104 § 319 Abs. 1 § 321
Leitsatz
1. Erlässt das Prozessgericht mehrere unzulässige Teilkostenentscheidungen über einzelne Verfahrensgegenstände, ist es nicht Aufgabe des mit dem Kostenfestsetzungsverfahren befassten Rechtspflegers, die Verteilung der Kosten nach Quoten berichtigend nachzuholen.
2. Die Befugnis zur Korrektur fehlerhafter oder unvollständiger Kostenentscheidungen steht nur dem für das Erkenntnisverfahren zuständigen Prozessgericht zu.
3. Erlässt das Prozessgericht unter Verstoß gegen den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung zwei evident unzulässige Teilkostenentscheidungen über einzelne Verfahrensgegenstände, obwohl zwingend eine einzige Kostenentscheidung für das gesamte Verfahren hätte ergehen müssen, liegt eine offenbare Unrichtigkeit vor, die das Prozessgericht im Rahmen des § 319 ZPO zu berichtigen hat. (Leitsatz der Schriftleitung)
BAG, Beschl. v. 1.6.2023 – 9 AZB 1/23
1 Sachverhalt
Vor dem ArbG Berlin haben sich die Parteien über die Wirksamkeit einer durch den Beklagten zu 1 ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses, über Vergütungsansprüche, Reisekosten und eine Verzugspauschale gestritten. Der Beklagte zu 1 hat gegen den Kläger im Wege der Widerklage Schadensersatzsprüche geltend gemacht. Gegen das Urteil des ArbG Berlin haben sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 1 Berufung eingelegt. Der Kläger hat seine Berufung mit Schriftsatz vom 9.10.2018 zurückgenommen. Das LAG Berlin-Brandenburg hat daraufhin mit Beschl. v. selben Tage dem Kläger "die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten" auferlegt. Der Beklagte zu 1 hat die Frist für die Begründung seiner Berufung versäumt. Hieraufhin hat das LAG seine Berufung durch Beschl. v. 20.12.2018 als unzulässig verworfen und ihm auch "die Kosten der Berufung" auferlegt.
Am 12.3.2019 hat der Kläger die Kostenausgleichung nach § 106 ZPO beantragt. Unter dem 26.6.2020 haben die Beklagten unter Bezug auf den Beschluss des LAG vom 9.10.2018 beantragt, ihre Kosten in vollem Umfang gegen den Kläger festzusetzen und weiter vorgebracht, für eine Kostenquotelung fehle es an einer entsprechenden Kostengrundentscheidung.
Der Rechtspfleger des ArbG Berlin hat auf die beiden Kostenfestsetzungsanträge der Parteien durch Beschl. v. 9.11.2021 die Kosten nach Ausgleichung festgesetzt. Dabei hat er die beiden Kostenentscheidungen des LAG ausgelegt und eine Verteilung der Kosten nach Quoten vorgenommen.
Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss haben die Beklagten sofortige Beschwerde eingelegt, der das ArbG Berlin nicht abgeholfen hat. Das LAG hat die sofortige Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, es fehle an einer für die Kostenfestsetzung erforderlichen Kostengrundentscheidung. Zur Klarstellung hat das LAG außerdem den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers v. 9.1.2021 aufgehoben.
Das BAG hat die vom LAG zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
[7]…“ II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das LAG hat zu Recht die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 9.11.2021 aufgehoben.
[9] a) Das LAG ist zutreffend davon ausgegangen, dass Grundlage der Kostenfestsetzung ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel ist (§ 103 Abs. 1 ZPO). Die Kostenfestsetzung erfordert, dass der Titel besagt, wer die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat (BGH 11.1.2018 – IX ZB 99/16 – Rn 8, RVGreport 2018, 148 (Hansens)). Der im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 104 ZPO zu treffende Beschluss füllt lediglich die Kostengrundentscheidung hinsichtlich der Höhe des zu erstattenden Kostenbetrags aus. Er ist deshalb sowohl hinsichtlich seiner Entstehung als auch seines Bestandes von der Kostengrundentscheidung abhängig (BGH 5.5.2008 – X ZB 36/07 – Rn 5, RVGreport 2009, 24 (Hansens)). Ein Kostenfestsetzungsbeschluss entfaltet von Beginn an keine rechtlichen Wirkungen, wenn der die Kostengrundentscheidung enthaltende Titel nicht zur Zwangsvollstreckung geeignet ist (BGH 21.3.2013 – VII ZB 13/12 – Rn 11, RVGreport 2013, 242 (Ders.)).
[10] b) Eine Kostengrundentscheidung ist nicht bereits dann zur Zwangsvollstreckung ungeeignet, wenn sie inhaltlich unzutreffend ist. Sie ist selbst dann bindend, wenn sie unrichtig oder unzulässig ist (vgl. BAG 16.11.2005 – 3 AZB 45/05 – Rn 9, RVGreport 2016, 110 (Ders.)). Eine fehlerhafte oder unvollständige Grundentscheidung darf im Festsetzungsverfahren allerdings weder korrigiert noch ergänzt werden. Diese Befugnis steht im Rahmen der §§ 319, 321 ZPO nur dem für das Erkenntnisverfahren zuständigen Gericht zu (vgl. OLG München 1.2.2022 – 11 W 40/22 – Rn 22).
[11] Hierdurch wird die Auslegung einer unklaren, mehrdeutigen oder widersprüchlichen Kostengrundentscheidung nicht von vornherein ausgeschlossen, solange der sachliche Gehalt des Titels nicht verändert wird (vgl. OLG München 1.2.2022 – 11 W 40/22 – Rn 22). Bei der Bestimmung des Auslegungsmaßstabs ist aber zu berücksichtigen, dass das Kostenfe...