Leitsatz
1. Einwände einer Partei gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten, die unter Vorlage eines Privatgutachtens geltend gemacht werden, muss das Gericht ernst nehmen. Es muss ihnen nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären.
2. § 287 ZPO erleichtert dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegung.
3. Wenn ein gerichtlich bestellter Sachverständiger zu dem Ergebnis kommt, dass nicht alle geltend gemachten Schäden dem Unfallereignis zugeordnet werden können, ist der Kläger nicht gehalten, zunächst weiteren Vortrag – gegebenenfalls nach Einholung eines zusätzlichen außergerichtlichen Gutachtens – zur Schadenshöhe zu halten. (Leitsätze der Reaktion)
BGH, Beschl. v. 6.6.2023 – VI ZR 197/21
1 Sachverhalt
[1] I. Der Kläger nimmt die Beklagte nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch.
[2] Der Lkw des Klägers war am Fahrbahnrand geparkt, als er durch einen vorbeifahrenden, bei der Beklagten haftpflichtversicherten Lkw beschädigt wurde. Der Kläger holte vorgerichtlich ein Sachverständigengutachten zum Schaden an seinem Lkw ein. Auf der Grundlage dieses Gutachtens macht er mit seiner Klage Zahlung von Nettoreparaturkosten in Höhe von 19.107,91 EUR, Gutachtenkosten von 1.437,20 EUR, einer Unkostenpauschale von 20 EUR sowie von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend und verlangt die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere materielle Schäden. Das Landgericht (LG Berlin, 3.9.2020, 43 O 91/18) hat nach Vernehmung eines Zeugen und Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht (KG Berlin, 14.6.2021, 22 U 1055/20) hat die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
2 Aus den Gründen:
[3] II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
4 1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger den ihm entstandenen Schaden schon nicht substantiiert dargelegt habe, da der gerichtliche Sachverständige nur einen kleinen Teil der Schäden am Lkw, und zwar an der Klappe oberhalb der Ladebordwand und an der hinteren linken und rechten Eckrunge, dem Unfallmechanismus habe zuordnen können. Die weiteren Schäden an der Ladebordwand und an anderen Bauteilen des Lkws habe er dem Unfall nicht zuordnen können. Daher sei ein Großteil der im Privatgutachten kalkulierten Kosten zur Reparatur der unfallbedingten Schäden nicht erforderlich. Im Privatgutachten seien keine unreparierten Vorschäden aufgeführt, da der Kläger dem Privatgutachter diese offensichtlich nicht mitgeteilt habe. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts oder eines von ihm beauftragten Sachverständigen, die zurechenbaren Kosten aus dem Privatgutachten zu ermitteln; vielmehr sei es Aufgabe der Partei, ihren Schaden schlüssig vorzutragen. Das Landgericht habe die Einholung eines weiteren Gutachtens zu Recht als unzulässige Ausforschung abgelehnt, da die Fragen des Klägers ergebnisoffen auf die Ermittlung von Tatsachen gerichtet gewesen seien. Anknüpfungstatsachen für eine gegebenenfalls sachverständig unterstützte Schadensschätzung lägen nicht vor.
[5] 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht mit diesen Ausführungen den Kläger in entscheidungserheblicher Weise in seinem aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft davon abgesehen, Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen nachzugehen. Es hat außerdem zu Unrecht den Vortrag des Klägers zu den nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Herstellungskosten als nicht hinreichend substantiiert angesehen und eine weitere Beweiserhebung hierzu abgelehnt.
[6] a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat (vgl. nur Senatsbeschl. v. 28.5.2019 – VI ZR 328/18, NJW 2019, 3236 Rn 6; v. 25.9.2018 – VI ZR 234/17, NJW 2019, 607 Rn 7; jeweils m.w.N.).
[7] b) Nach di...