VVG § 19
Leitsatz
1. Für die Behauptung des VN, ihm seien die Gesundheitsfragen bei Beantragung einer Berufsunfähigkeitsversicherung nicht vorgelesen, sondern vom Agenten selbst beantwortet worden, spricht der Umstand, dass es allein um eine nach Jahren des Bestehens eines Vertrages erfolgende "Umdeckung" ging.
2. VN ist nicht gehalten, ein Antragsformular selbst nach darin vorhandenen Gesundheitsfragen durchzusehen, wenn der Vermittler es ihm ausgefüllt zur Unterschrift vorlegt. (Leitsätze der Schriftleitung)
LG Neuruppin, Urt. v. 19.3.2024 – 6 O 87/23
1 Sachverhalt
Am 18.6.2012 beantragte der Kl. bei der Bekl. den Abschluss einer selbstständigen Berufsunfähigkeitsversicherung.
Im Antrag wurden sämtliche Gesundheitsfragen mit "Nein" beantwortet. Tatsächlich war der Kl. wegen BWS – Blockierungen 2009 und Lumbago 2010 mit jeweiliger Rezeptur von Krankengymnastik arbeitsunfähig krankgeschrieben worden. In Unkenntnis dessen nahm die Bekl. den Antrag ohne Erschwernisse an und übersandte dem Kl. den Versicherungsschein vom 26.6.2012.
Mit Antrag vom 3.11.2019 beantragte der Kl. Leistungen aus der Versicherung wegen Ellenbogenbeschwerden. Im Rahmen der Leistungsprüfung bemerkte die Bekl. die zuvor genannten Behandlungen. Sie erklärte mit Schreiben vom 13.12.2019 den Rücktritt vom Versicherungsvertrag und begründet dies mit der falsch Beantwortung der Gesundheitsfragen.
Der Kl. hat die Feststellung des Fortbestehens des Vertrages begehrt.
2 Aus den Gründen:
Die Klage hat Erfolg.
Ein Rücktrittsrecht der Bekl. ergibt sich nicht aus § 19 Abs. 2 VVG. Der Kl. hat seine Anzeigepflicht nicht verletzt.
Nach § 19 Abs. 2 VVG kann der VR vom Vertrag zurücktreten, wenn der VN entgegen § 19 Abs. 1 VVG einen ihm bekannten gefahrerheblichen Umstand nicht angezeigt hat. Gefahrerheblich sind solche Umstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des VR, den Vertrag überhaupt oder mit dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben. Dabei gelten Umstände, nach denen der VR bei der Schließung des Vertrages ausdrücklich gefragt hat, im Zweifel als gefahrerheblich mit der Folge, dass den VN grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, dass die erfragten und nicht mitgeteilten Umstände gefahrerheblich sind.
Zwischen den Parteien ist im vorliegenden Fall unstreitig, dass es der Agent der Bekl. übernommen hatte, den Versicherungsantrag auszufüllen, und dass ihn der Kl. unterzeichnet hat. Streitig ist dagegen, ob – so die Bekl. – der Agent die Gesundheitsfragen mit dem Kl. im Einzelnen durchgesprochen und nichts anderes als die ihm erteilten Antworten in den Antragsformularen vermerkt hat, oder ob das Ausfüllen der Anträge so erfolgte, wie es der Kl. behauptet.
Die Gesundheitsfragen seien ihm nicht gestellt, die Formulare also insoweit eigenmächtig durch den Agenten ausgefüllt worden. Der Antrag sei ihm schließlich lediglich zur Unterschrift vorgelegt worden, wobei der Agent nur die zu unterzeichnenden Seiten vorgelegt habe. Die Beweislast für die Anzeigepflichtverletzung liegt auf Beklagtenseite. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist dieser Beweis nicht gelungen.
Denn aufgrund der Vernehmung des Zeugen vermochte das Gericht im Rahmen der ihm nach § 286 Abs. 1 ZPO zustehenden freien Beweiswürdigung nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die streitige Behauptung der Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen durch den Kl. als bewiesen anzusehen ist.
Das Beweisergebnis ist erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und alte vernünftigen Zweifel ausgeräumt sind.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist aufgrund der Angaben der Zeugin W1. davon auszugehen, dass dem Kl. die Gesundheitsfragen nicht zur Kenntnis gebracht worden sind. Das Gericht konnte in den Aussagen der Zeugin W1. keine inneren Widersprüche erkennen, die einen Rückschluss auf den mangelnden Wahrheitsgehalt zugelassen hätten.
Für die Richtigkeit ihrer Angaben spricht vielmehr, dass für sie und ihren Ehemann gar keine Notwendigkeit zur Umdeckung der bereits vorhandenen Versicherungen bestand. Beide genossen bereits einen Versicherungsschutz. Letztlich hatte nur der Zeuge W2. ein nachvollziehbares Interesse daran, die Versicherungen umzudecken und der Kl. und die Zeugin waren damit einverstanden. Es ging ihnen aber plausibel darum, keine Nachteile erleiden zu wollen.
Dementsprechend mussten die Verträge auch "eins zu eins" umgesetzt werden, wie die Zeugin überzeugend geschildert hat. Vor diesem Hintergrund konnte das nochmalige Durchgehen der Gesundheitsfragen die Umdeckung gefährden, denn über die Jahre war es möglich, dass sich gesundheitliche Defizite ausgebildet haben. Eine Umdeckung wäre zudem gefährdet gewesen, wenn die Vorversicherung angegeben worden wäre. Auch dies ist dementsprechend unterblieben.
Die Angaben der Zeugin sind nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Sie werden durch die Aussage des Zeug...