Der BGH hat jetzt die grundlegenden Weichen für den Anwendungsbereich des Werkstattrisikos bei der wichtigen Fallgruppe unbezahlter Rechnungen gestellt.
I. Die wichtigsten Vorgaben
Zu Gunsten des Geschädigte wird jetzt die Möglichkeit etabliert, statt einem Freistellungsantrag mit seinem werkvertraglichen Schranken vielmehr einen Zahlungsantrag mit einer Auszahlung direkt zu Händen der Werkstatt zu verfolgen. Dies verhindert zwar in der Tat, dass der Geschädigte stattdessen mit einem Zahlungsantrag an sich selber unzulässig bereichert wird. Allerdings wird auf diese Weise das kuriose Ergebnis erreicht, dass der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners den ungekürzten Rechnungsbetrag an die Werkstatt zahlen muss, sich dabei Zug um Zug einen Regressanspruch in Höhe der bestehenden Einwendungen abtreten lässt und bei erfolgreicher Umsetzung dieses Regressanspruchs der Werkstattbetrieb die eingeforderte Differenz sogleich zurückzuzahlen hat – ein Ergebnis, welches z.B. bei Eingreifen der Dolo agit-Einrede vermieden worden wäre.
Zugleich wird jetzt aber auch die Praxis unterbunden, wonach der Reparaturbetrieb seine Rechnung mit einer Abtretung des Geschädigten selber verfolgt und ohne Beweisaufnahme mit Hinweis auf das Werkstattrisiko die offene Differenz aus den Reparaturkosten erhalten will. Denn bei diesem Vorgehen geht es nicht um den Schutz des Geschädigten, der bei einer solchen gerichtlichen Auseinandersetzung gar nicht beteiligt ist. Wird dieser Weg gewählt muss die Erforderlichkeit aller Reparaturkosten nachgewiesen werden.
Und der BGH stellt klar, dass unfallfremde Altschäden nicht einfach unter dem Deckmantel des Werkstattrisikos mitrepariert werden können und dies erst einmal von der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung des Schädigers bezahlt werden muss. Vielmehr bleibt es bei der Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten unter Beachtung der hierzu entwickelten Rechtsprechung.
Geht der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer gegen den Werksattbetrieb im Regresswege vor ist zu beachten, dass dieser – anders als der Geschädigte – fachkundig ist und daher auch bei von einem Sachverständigengutachten angeführte Reparaturmaßnahmen, die z.B. nicht erforderlich gewesen sind, darauf im Rahmen einer Nebenpflicht des Werkvertrags nach den §§ 241, 242 BGB den Geschädigten als Auftraggeber hätte hinweisen müssen. Dies gilt erst Recht, wenn der Werkstatbetrieb Reparaturarbeiten abrechnet, die als Position tatsächlich nicht durchgeführt worden sind oder offenkundig von Herstellerangeben abweichen ohne im Einzelfall geboten zu sein.
II. Neue Fallgruppe und Prozesse
Für die Praxis bedeuten die Entscheidungen des BGH vom 16.1.2024 und 12.3.2024 für Werkstätten und Sachverständige auf der einen Seite und für den Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers auf der anderen Seite einen Mehraufwand bei der Abwicklung des Schadens, denn der Schutz des Geschädigten steht im Korrelat zur Verpflichtung des Versicherers zur Abwehr von unberechtigten Ansprüchen nach §§ 100f VVG und den aufsichtsrechtlichen Anforderungen der BaFin an die Solvenz des Versicherers. Dabei ist auch zu beachten, dass die Werkstatt bzw. der Sachverständige nach §§ 241 Abs. 2 und 311 Abs. 2 BGB gehalten sein wird, den Auftraggeber über das Risiko aufzuklären, dass der Versicherer die Kosten nicht vollständig übernehmen wird, wenn die Arbeiten unwirtschaftlich oder zu überhöhten Preisen angeboten werden. Insbesondere kann dabei ein Fall des § 814 BGB zu beachten sein.
Weitere Probleme können sich auftun, wenn eine Werkstatt unter Hinweis auf ihr Unternehmerpfandrecht das Fahrzeug nach einer Reparatur nicht freigibt, weil der Versicherer die Rechnung nicht vollständig bezahlt hat. Solange eine entsprechende Abtretung nicht Zug um Zug mit der Zahlung verbunden wird, besteht zu einer vollständigen Auszahlung an den Reparaturbetrieb bei berechtigten Einwendungen der Sache für den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners auch keine Veranlassung. Auf der anderen Seite sieht sich der Geschädigte dann der Forderung der Werkstatt ausgesetzt, die sein Fahrzeug zudem nicht herausgibt und hat im eigenen Interesse eine Abtretung zukünftiger Regressansprüche so früh wie möglich vorzunehmen. Das Ganze wird aber in der Praxis deutlich verkompliziert, wenn der Geschädigte zuvor schon eine Abtretung seines Schadensersatzanspruches an die Werkstatt vorgenommen hat und gar nicht mehr Forderungsinhaber ist. Er kann dann auch keine Auszahlung Zug um Zug mehr einfordern oder einklagen – es sei denn, er wird hierzu im Wege der Prozessstandschaft ermächtigt, verfolgt dann aber wiederum ein fremdes Recht mit der Folge, dass im Zivilprozess alle Einwendungen aufzuklären sind und erhält sein Fahrzeug dann aber ggf. immer noch nicht zurück.
Auch stellt sich die Frage, wie der Versicherer vorzugehen hat, wenn ihm die Abtretung nicht vorgelegt wird oder stille Zessionen geschlossen werden. Nach den Vorgaben des BGH wäre in diesem Fall konsequent davon auszugehen, dass der Versicherer die nach seiner Auffassung unberechtigten Ansprüche zurückhalten k...