Der BGH hatte sich auch bei der Beurteilung des Werkstattrisikos auch mit einem Fall zu befassen, bei dem die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten höher als die im Gutachten geschätzten Kosten gelegen haben.
1. Zum Sachverhalt
Der Kläger holte in diesem Fall zur Ermittlung des Schadens am Fahrzeug ein Sachverständigengutachten ein, welches einen Reparaturaufwand von 9.227,62 EUR brutto auswies. Die vom Kläger beauftragte Werkstatt stellte für die Reparatur aber mit 11.766,66 EUR brutto einen Betrag in Rechnung, der um 27 % höher gelegen hat. Das Amtsgericht hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt und auf dessen Grundlage die Zahlung weiterer Reparaturkosten in Höhe von 129,59 EUR nebst Zinsen zuerkannt. Der Kläger verlangt im Revisionsverfahren bei einer unbezahlten Rechnung die Positionen "Fahrwerksvermessung durchführen" und Zusatzarbeiten bei Stoßfänger i.H.v. gerundet 235 EUR weiter. Im Revisionsverfahren hat der Kläger auch in diesem Fall seinen Antrag auf Zahlung an die Werkstatt bei einer erklärten Abtretung möglicher Regressansprüche Zug um Zug umgestellt.
2. Zur Entscheidung
Der BGH hat auch mit dieser Entscheidung die bereits dargelegten Grundsätze bei der Beurteilung des Werkstattrisikos bei einer unbezahlten Rechnung hervorgehoben und noch einmal betont, dass sich der Geschädigte auch unter bestimmten Voraussetzungen bei einer unbezahlten Rechnung auf das sogenannte Werkstattrisiko berufen kann. Soweit der Schädiger unter Beachtung dieser Grundsätze und dem richtig gestellten Antrag Zug um Zug gegen Abtretung mithin das Werkstattrisiko trägt, verbietet sich daher im Schadensersatzprozess zwischen Geschädigtem und Schädiger mangels Entscheidungserheblichkeit eine Beweisaufnahme über die objektive Erforderlichkeit der in Rechnung gestellten Reparaturkosten. Ist aber wie in diesem Fall dennoch eine Beweisaufnahme dennoch durchgeführt worden, kann von einem Verschulden des Geschädigten bei der Überwachung der Werkstatt nicht deshalb ausgegangen werden, weil der Geschädigte aufgrund eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens nunmehr Kenntnis davon hat, dass die in Rechnung gestellten Kosten (teilweise) objektiv nicht erforderlich sind. Die Grundsätze zum Werkstattrisiko würden in ihr Gegenteil verkehrt, würde mit dem Ergebnis einer nicht veranlassten, sich prozessual verbietenden Beweisaufnahme ein Überwachungsverschulden aufgrund nunmehr veränderter Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten begründet und dieser darauf verwiesen, diese neu gewonnenen Erkenntnisse selbst gegenüber der Werkstatt geltend zu machen. Mit einer diesbezüglichen Auseinandersetzung soll der Geschädigte gerade nicht belastet werden.
Egal ob durch ein außergerichtliches Sachverständigengutachten der Assekuranz oder später durch ein – aus welchen Gründen auch immer – im Gerichtsverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten Einwendungen zur Höhe bestätigt werden ändert dies nichts daran, dass der Geschädigte sich auf das Werkstattrisiko berufen kann und aus der Auseinandersetzung mit der Werkstatt über die Höhe der erforderlichen Reparaturkosten herausgehalten wird, wenn die weiteren Vorgaben des BGH beachtet werden.
Nach diesen Maßstäben steht dem Kläger aus Sicht des BGH auch in diesem Fall mithin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung der noch in Streit stehenden Rechnungspositionen an die Werkstatt, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger das Werkstattrisiko betreffender Ansprüche gegen die Werkstatt, zu. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der Revisionsverhandlung in zulässiger Weise entsprechend geändert.
Die in diesem Fall ansonsten bekannt gewordenen Umständen rechtfertigen für sich gehen keine Annahme, dass den Kläger ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden wegen möglicherweise zu hohen Reparaturkosten trifft. Das Berufungsgericht hat insoweit aus Sicht des BGH zutreffend ausgeführt, dass der geltend gemachte Anspruch nicht bereits wegen Verschuldens des Klägers bei der Auswahl oder Überwachung der Werkstatt ausscheidet. Zwar liegt der Rechnungsbetrag der Werkstatt 27 % über dem Betrag, der in dem vor der Reparatur erstellten Sachverständigengutachten kalkuliert wurde. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um ein Verschulden des Klägers zu bejahen.
3. Bewertung für die Praxis
Auch diese weitere Entscheidung des BGH vom 16.1.2024 dient dem umfassenden Schutz des Geschädigten, der auch bei einer unbezahlten Rechnung davor geschützt werden soll, in einen Streit über die Schadenshöhe zwischen Haftpflichtversicherer des Schädigers und der eingeschalteten Werkstatt involviert zu werden. Dabei bleibt allerdings für die Schädigerseite die Möglichkeit, dem Geschädigten ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden nachzuweisen. Dafür reicht es allerdings nicht aus, dass die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten in einer Größenordnung von bis zu 30 % über den ursprünglich geschätzten Reparaturkosten liegen, da sich über die erste Schätzung hinaus auch bei der Reparatur z.B. auch ein weiterer Schaden zeigen kann.