[…] I.
[2] Das LG hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
[3] 1. Der Angeklagte war als Berufskraftfahrer im Nahverkehr tätig. Dabei lieferte er mit einer Sattelzugmaschine mit Auflieger Waren aus, wobei er einer vorgeschriebenen Fahrtroute zu folgen hatte. Nachdem er am 10.11.2020 seine Arbeitsschicht um 06.09 Uhr begonnen und mehrere Kunden planmäßig angefahren hatte, war er spätestens ab 07.57 Uhr unkonzentriert, abgelenkt und nicht mehr auf das sichere Führen des Fahrzeugs "fokussiert". Stattdessen befasste er sich gedanklich mit seinem eigenen Tod, ohne jedoch die Absicht zu haben, sich selbst zu töten. Zudem führte er eine Vielzahl von Telefonaten mit seiner Ehefrau. Weitere von ihm zu beliefernde Kunden fuhr er nicht mehr an. Schließlich verließ er die ihm vorgegebene Route und befuhr eine ihm gut bekannte Bundesstraße. Nachdem der Angeklagte zuvor relativ konstant mit einer Geschwindigkeit von 66 bis 68 km/h gefahren war, beschleunigte er gegen 17.15 Uhr seinen Sattelzug etwa 200 Meter vor der späteren Kollisionsstelle kontinuierlich auf eine Geschwindigkeit von ca. 77 km/h (71 km/h nach Toleranzabzug), wobei er die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt. Sodann fuhr er auf einem geraden Streckenabschnitt in einem relativ großen Winkel ungebremst auf die Gegenfahrbahn und dort frontal gegen den ihm entgegenkommenden Sattelzug des Geschädigten. Der Geschädigte verstarb noch am Unfallort infolge des Frontalzusammenstoßes an einem schweren Polytrauma.
[4] Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Angeklagte erkennen können und müssen, dass er aufgrund seiner fortbestehenden Unkonzentriertheit und der damit einhergehenden mangelnden Aufmerksamkeit nicht länger als Fahrer eines Fahrzeugs hätte am Straßenverkehr teilnehmen dürfen. Die Kollision war für ihn vorhersehbar und vermeidbar.
[5] 2. Das LG hat dieses Verhalten als fahrlässige Tötung gemäß § 222 StGB gewertet. Eine Strafbarkeit wegen Totschlags gemäß § 212 Abs. 1 StGB und wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StGB hat das Landgericht verneint. Eine Absicht des Angeklagten, sich selbst zu töten, sei ebenso wenig festzustellen wie das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes dahingehend, dass der Angeklagte eine Kollision mit einem auf der Gegenfahrbahn entgegenkommenden Fahrzeug und den mit einer Kollision einhergehenden Tod eines Fahrzeuginsassen billigend in Kauf nahm. Ferner sei nicht festzustellen gewesen, dass der Angeklagte den von ihm gelenkten Sattelzug bewusst zweckwidrig als Waffe und zumindest mit bedingtem Schädigungsvorsatz einsetzte.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft
[6] Die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags erstrebt, hat Erfolg.
[7] 1. Der Angeklagte hat eine Selbsttötungsabsicht und einen damit einhergehenden bedingten Tötungsvorsatz bestritten. Das LG hat Zweifel hinsichtlich einer bei Begehung der Tat bestehenden akuten Suizidalität und einer sich hieraus ergebenden Absicht des Angeklagten, sich durch die Fahrt mit seinem Sattelzug selbst zu töten, nicht zu überwinden vermocht. Dazu hat es die am Tattag vom Angeklagten an seine Ehefrau versandten Textnachrichten in den Blick genommen und etwaige Eheprobleme geprüft sowie Probleme im beruflichen Umfeld und im Bekanntenkreis erörtert. Es hat weder in der Erhöhung der Geschwindigkeit des Sattelzugs vor dem Unfall noch in dem Umstand, dass es keine verkehrsbedingte Notwendigkeit gab, nach links auf die Gegenfahrbahn zu lenken, Gesichtspunkte gesehen, die eine Absicht des Angeklagten, sich selbst zu töten und damit auch die Annahme, dass er den Tod anderer Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf nahm, tragen könnten. Zudem hat es sich der psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, nach deren Ausführungen eine akute Suizidalität des Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht festzustellen sei; auch die Textnachrichten an seine Ehefrau hätten keinen Appell bzw. keine Ankündigung eines Suizids enthalten, wie sie üblicherweise einer Durchführung vorausgingen. Auch psychische Probleme des Angeklagten am Tattag konnte die Sachverständige trotz seiner – am ehesten in ein psychotisches Erleben einzuordnenden – skurrilen Textnachrichten angesichts fehlender weiterer Anknüpfungstatsachen nicht diagnostizieren.
[8] 2. Diese Beweiswürdigung schöpft die rechtsfehlerfrei festgestellten objektiven Umstände nicht aus und ist daher lückenhaft.
[9] a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Dabei hat es den gesamten beigebrachten Verfahrensstoff erschöpfend zu würdigen. In den schriftlichen Urteilsgründen muss es dies erkennen lassen. Umstände, die geeignet sind, die gerichtliche Entscheidung wesentlich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen...