SGB VII § 106 Abs. 3, 3. Alt.

Leitsatz

Die Haftungsprivilegierung i.S.d. § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII gilt auch gegenüber dem geschädigten versicherten Unternehmer, der freiwillig oder kraft Satzung versichert ist.

BGH, Urt. v. 17.6.2008 – VI ZR 257/06

Sachverhalt

Der Kläger, ein selbständiger Fuhrunternehmer, begehrt Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens infolge eines Unfalls auf dem Betriebsgelände der M. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin). Der Beklagte zu 1 ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin, der Beklagte zu 2 war bei ihr als Gabelstaplerfahrer beschäftigt.

Der Kläger stellte am 29.9.2003 seinen Lkw auf dem Betriebsgelände ab, um ihn von dem Beklagten zu 2 beladen zu lassen. Nachdem sich beide darüber abgesprochen hatten, wo genau welche Ware mit welchem Gewicht auf dem Lkw abgestellt werden sollte, belud der Beklagte zu 2 mit dem Gabelstapler zunächst den vorderen Teil der Ladefläche. Anschließend trat der Kläger, der sich bis dahin in der Nähe des Fahrzeugs aufgehalten hatte, zum vorderen Teil der Ladefläche, um dort die Klappen an der Fahrerseite zu schließen. In diesem Moment fuhr der Beklagte zu 2 mit dem Gabelstapler gegen das linke Bein des Klägers, wodurch dieser schwere Verletzungen erlitt.

Die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen erkannte den Unfall mit Bescheid vom 13.4.2004 als Arbeitsunfall an.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Aus den Gründen

“I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in OLGR Bremen 2007, 253 veröffentlicht ist, hält etwaige Schadensersatzansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 2 für nach §§ 106 Abs. 3 Alt. 3, 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen, weil beide zum Unfallzeitpunkt vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichtet hätten. Die Ladetätigkeit sei von einem notwendigen Miteinander im Arbeitsablauf geprägt gewesen, bei dem sich beide Arbeitsbereiche zwangsläufig überschnitten hätten und beide Personen aufeinander hätten Rücksicht nehmen müssen.

Auch Ansprüche gegen den Beklagten zu 1 seien ausgeschlossen. Die Haftungsfreistellung der Insolvenzschuldnerin folge zwar nicht schon aus § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII. Doch ergebe sich der Anspruchsausschluss nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs.

II. Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte zu 2 sei zum Ersatz des dem Kläger entstandenen Personenschadens gem. § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII nicht verpflichtet, trifft im Ergebnis zu.

a) Der Kläger war im Unfallzeitpunkt Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies steht mit Bindungswirkung nach § 108 Abs. 1 SGB VII auf Grund des Bescheids vom 13.4.2004 fest, mit dem die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall anerkannt hat. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Mit der Einordnung als Arbeitsunfall und damit als Versicherungsfall (§ 7 Abs. 1 SGB VII) in einem unanfechtbaren Bescheid der Unfallversicherungsträger ist deshalb für das Zivilverfahren auch bindend entschieden, dass der Geschädigte "Versicherter" der gesetzlichen Unfallversicherung war (vgl. Senatsurt. BGHZ 129, 195, 198; 166, 42, 44; v. 20.12.2005 – VI ZR 225/04, VersR 2006, 416, 418; v. 12.6.2007 – VI ZR 70/06, VersR 2007, 1131, 1132 und v. 22.4.2008 – VI ZR 202/07 – z.V.b.; Henssler/Willemsen/Kalb-Giesen, Arbeitsrecht Kommentar, 2. Aufl., § 108 SGB VII Rn 4; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Rolfs, 8. Aufl., § 108 SGB VII Rn 2; Lauterbach/Dahm, Unfallversicherung, 4. Aufl., Stand: 2007, § 108 SGB VII Rn 7; Wannagat/Waltermann, Sozialgesetzbuch, Stand: 15. Erg. Lieferg. 2007, § 108 SGB VII Rn 4; Schmitt, SGB VII, 3. Aufl., § 108 Rn 6; Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, 2005, § 38 II 7 [S. 627]; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 5. Aufl., Stand: 2007, § 108 SGB VII Rn 6; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand: 165. Lieferg. 2007, § 108 SGB VII Rn 10; Krasney, NZS 2004, 68, 72). Die Anerkennung als Arbeitsunfall im Bescheid vom 13.4.2004 wurde unabhängig von der Notwendigkeit, die Beklagten nach § 12 Abs. 2 SGB X zu dem Verfahren hinzuzuziehen (vgl. Senatsurt. v. 20.11.2007 – VI ZR 244/06, – VersR 2008, 255, 256), auch diesen gegenüber unanfechtbar, da sie in ihrer Rechtsstellung dadurch nicht nachteilig betroffen wurden (vgl. OLG Hamm VersR 2000, 602; OLG Zweibrücken SP 2002, 127). Eigene Feststellungen zur Versicherteneigenschaft des Klägers im Unfallzeitpunkt hatte das Berufungsgericht folglich entgegen der Auffassung der Revision angesichts der vom Zivilgericht von Amts wegen zu beachtenden (vgl. Senatsurt. v. 12.6.2007 – VI ZR 70/06, a.a.O. und vom 20...

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